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  • Kid Clio - High Five!
    • Kid Clio - High Five!
    • KID CLIO „HIGHFIVE!“
      Gute-Laune-Musik von Leslie Clio für willensstarke Kids Album erscheint am 22.10.

      Jetzt will es KID CLIO wissen!
      Denn mit einem lauten „HIGHFIVE!“ kündigt sie nun ihr Album für den 22.10.2021 an und präsentiert uns damit eine kunterbunte Mischung an Popsongs für Kids ab acht Jahren. Das Kindermusik-Projekt der bekannten Sängerin Leslie Clio startete 2020 mit der EP „Heute Bin Ich Faul“ und zeigte den Heranwachsenden damit schon, dass es zwischen den klassischen Kinderliedern und den Popsongs der Erwachsenen auch eine musikalische Welt für mittelgroße Menschen gibt. Auf ihrem Album „HIGHFIVE!“ gelingt es KID CLIO, diese Welt mit weiteren kreativen Ohrwürmern zu füllen und eine Verbindung zwischen moderner Produktion und feinfühligen aber doch schlagfertigen Texten zu schaffen. Dabei behandelt sie ganz mühelos Themen, die in diesem Alter besonders wichtig sind: Freundschaft, Taschengeld, die Suche nach dem eigenen Weg und was einem darauf alles begegnen kann. Als Feature-Gäste helfen ihr dabei bekannte Stimmen wie Deine Freunde, Amanda und herrH.

      Auf „HIGHFIVE!“ schöpft KID CLIO eine einzigartige Sammlung an Gedankenblitzen aus der Lebensphase, als sie selbst noch Kind war. “Ich will moderne, clevere Kindermusik machen, die Spaß macht und vor allem auf Augenhöhe ist. Ich verfolge mit KID CLIO keine pädagogischen Ansprüche, ich bin nicht die Mama, sondern die beste Freundin, die dich dazu animieren will, dein eigenes Ding zu machen“, beschreibt Clio ihre Motivation. „Ich nenne es Rotzgören-Musik.” Und die klingt selbstbewusst, willensstark, freiheitsliebend, gut gelaunt und ziemlich mutig. Ein bisschen nach Pippi Langstrumpf 2.0, mit 15 starken Songs und jeder Menge Girlpower für Kids von heute. “Ich singe über Themen, die mich auch als Kind beschäftigt haben. Ich habe auf diesem Album einfach die Musik gemacht, die ich heute als Kind gerne hören wollen würde.“

      Mit internationalen Hits wie "I Couldn't Care Less”, ausverkauften Tourneen und bald vier eigenen Alben steht Leslie Clio für poetisch souligen Pop und hat mit ihrer unverkennbaren Stimme in der deutschen Popwelt etwas ganz Eigenes geschaffen. In diese Welt baut KID CLIO nun eine Brücke für die jüngeren Zuhörer:innen.
      Zusammen mit dem Musiker Kurt Stolle aka DJ Flippy, mit dem sie ihr Album aufgenommen hat, zeigt sie dem heranwachsenden Publikum, wie vielfältig Kindermusik klingen kann, die sich frei über Genregrenzen hinweg bewegt.

      Am 17. September erscheint die erste Singleauskopplung „Mama Oh Mama“, ein Liebeslied an all die unersetzlichen Mamas da draußen, die ihren Kindern durch ihre bedingungslose Liebe Halt und die Sicherheit geben, die es braucht um groß zu werden. KID CLIO weiß aber, dass man mit den Mamas nicht immer einer Meinung sein muss. „Mama komm mal her zu mir, ich will Dir mal was sagen: Ich führ mein eignes Leben, seh vieles anders als Du!“ „Mama Oh Mama“ ist ein energievoller und gleichzeitig bewegender Song, der mit seiner humorvolle 80er-Produktion für einen ordentlichen Ohrwurm sorgt.[page1image20499840]   [page1image20501376]„Meine Beste Freundin“ wird die zweite Single sein, die am 22. Oktober zusammen mit dem Album erscheint. Im Duett mit der Berliner Sängerin und Rapperin Amanda feiern die beiden die Diversität, die es in Freundschaften geben kann: “Wir beide sind unterschiedlich, doch die Zeit beweist: Wir beide sind unzertrennlich, viel besser zu zweit”, sagt KID CLIO. Ob Andersartigkeit in den Interessen, im Aussehen oder der Herkunft: „Unterschiedlich zu sein bedeutet, sich gut ergänzen zu können. Darauf basiert Freundschaft auch.“

      Der Song "Heute Bin Ich Faul" ist eine wunderbar fröhliche Ode ans Nichtstun. Der Alltag eines Kindes kann ganz schön anstrengend und voller Termine sein. Zu diesem Lied können sich Kinder (und auch ihre Eltern) aufs Sofa kuscheln und laut mitsingen: "Ich mach gar nichts, ich bleib liegen, ich geh heute nicht mehr raus!”

      Aber zu KID CLIOs Musik kann man nicht nur hervorragend im Bett liegen, träumen, basteln und nachdenken. Sie bringt das Kinderzimmer mitunter auch zum Beben. Progressive, zielbewusste Nummern wie der Rocksong “Ich Will Kuscheln” oder die Trap-Nummer “Mama, Gib Taschengeld!” machen klar, was Clio mit “Rotzgören-Musik” meint.

      Treibende Beats und Partylaune bekommt man auf Songs wie “Mein Traumhaus“ oder “Pyjamarama” serviert, die zum Raven im Kinderzimmer einladen. Und natürlich darf auf dem ersten KID CLIO-Album auch ein Feature mit ihren größten Idolen im Kindermusikmarkt nicht fehlen: Deine Freunde. Der Song „Dr Hatschi“, zusammen performt mit den einstigen Juroren von „The Voice of Germany“, widmet sich auf humorvolle Weise dem Kranksein und dem, was beim Gesund werden helfen kann.

      Lieder wie “Fühl Mich So Gut” oder “Is Mir Egal” strotzen vor Selbstbewusstsein und vermitteln, keine Angst haben zu müssen, wenn mal etwas schiefgeht. Ganz nach dem Motto „Ich muss nicht immer müssen, was ich kann. Kann nicht immer alles, aber bleib dran!”
      Gute-Laune-Lieder wie die Reggae-Nummer „Der Gemüsesong“ featuring herrH oder “Das Lied Vom Sommer” runden das Album spielerisch ab.

      Wie schön, dass sich Leslie Clio mit ihrem achtjährigen Ich KID CLIO verabredet hat, um es singen und tanzen zu lassen. Denn es macht extrem viel Spaß, mit ihr und „HIGHFIVE!“ Zeit zu verbringen, ihr zuzuhören und dann bestärkt und voller Lebenslust den eigenen Weg weiterzugehen.
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  • Sharaktah - Almost Home
    • Sharaktah - Almost Home
    • Sharaktah.

      Langsam wird es Nacht über den Feldern, schwarze Tinte läuft in den glühenden Abendhimmel. Es ist der einzige Moment des Tages, an dem ein wenig Sonne hervorbricht, nur um dann von der Dunkelheit verschluckt zu werden. Ein norddeutscher Sommer, windig und verregnet. Sobald die Sonne untergegangen ist, schalten sich die Laternen mit einem metallischen Klang ein.
      Viel Licht braucht es nicht, um die einzige Straße zu beleuchten, die durch das kleine Dorf inmitten der Marschlandschaft führt. Ein paar Häuser, die sich gegen den Wind stemmen, eine Bushaltestelle, aber keine Kneipe, kein Supermarkt, kein Imbiss – Ketelsbüttel, so der Name des Dorfes, ist das Epizentrum des Nichts, umgeben von Meer und Heide.

      Aber vielleicht ist es der richtige Ort zum Wunden lecken, nach einer Scheidung. Hier im Nirgendwo, in dem die Großeltern leben und eine zersplitterte Kleinfamilie bei sich aufnehmen. Wo ein Junge durch Wiesen streift, mit einem Ast auf imaginäre Feinde eindrischt und in den salzigen Wind schreit, bis die Lungen brennen. Wo aus dem kleinen Jungen ein Teenager wird, mit allem was dazugehört, wenn man im norddeutschen Niemandsland aufwächst: Abhängen in der einen Bushaltestelle, mit Freunden auf dem Rad zur nächsten Party fahren – eine Stunde auf dem Hinweg, zwei Stunden auf dem Rückweg, wegen der Schlangenlinien. Und immer dabei: Musik.

      Denn egal, wie abgelegen dieses Dorf liegt, MTV und VIVA empfängt man auch hier. Zwar kommen diese Giganten der Popkultur langsam in die Jahre, Endlos-Wiederholungen von „Flavor of Love“ und „Jackass“ bestimmen das Tagesprogramm, aber nachts flackern noch Musikvideos über den Bildschirm, bunt und abwechslungsreich. Und so sieht man auch in einem Kinderzimmer in Ketelsbüttel, wie Eminem in eigene Abgründe steigt und mit seinem Dämonen ringt, drei Minuten später versuchen Juli der sperrigen, deutschen Sprache Sanftheit einzuhauchen und nach einer Klingeltonwerbung spielen sich Emo- und Skatepunk-Bands den Frust über die Borniertheit und Langeweile ihrer Mittelklasse-Vorstädte von der Brust.

      All diese Lieder begleiten den namenlosen Jugendlichen wie Gespenster, er seziert sie, verinnerlicht sie. Und er fängt an, sie in eigene Musik zu verwandeln, auf einer schrammeligen Akustik-Gitarre, auf der er die Namen seiner Lieblingsbands geschrieben hat, noch mehr Fan als Musiker. Doch er lernt weiter, erst mit Freunden, dann alleine. Ein gecracktes Musikprogramm ersetzt eine Band, der alte Schuppen seines Großvaters ein Studio. Und während seine Altersgenossen auf dem Rad ins nächste Dorf fahren, auf der Suche nach einer Homeparty oder zumindest einer Flasche Wodka auf dem Spielplatz, sitzt er vor einem blau leuchtenden Monitor, Kopfhörer auf den Ohren, bringt sich Sidechain Compression und Quantisierung bei, kritzelt Sätze in einen Block, streicht sie durch, schreibt sie neu. Und wenn seine Freunde zurückkommen, beseelt von der Homeparty (oder einer Flasche Wodka auf dem Spielplatz im Nachbardorf), werfen sie einen Blick in die Fenster des Schuppens, das selbe blaue Leuchten in der pechschwarzen Nacht, ein nickender Kopf, ein Schreibblock voller Hieroglyphen, unendlich müde, aber unendlich fokussiert,

      2021.
      Aus dem Teenager ist ein junger Mann geworden. Das kleine Dorf hat er hinter sich gelassen, eine kleine Wohnung in Hamburg ist jetzt Studio und Rückzugsort. Die Zweifel, ob er wirklich diesen Weg beschreiten soll, sind Gewissheiten gewichen: Während die anderen gerade Ausbildung und Studium beenden, wird er Musiker. Verwebt die Eindrücke seiner sturmumtosten Jugend, seinen Sinn für genreübergreifende Außenseiter-Erfahrungen in die Musik, die er macht. Und kreiert so einen betörenden, dunklen und samtigen Sound, zwischen zeitgenössischen Rap und verzerrter Gitarre, vereint die Welten, denen er entwachsen ist. Sucht in seinen Texten nach Identität, zwischen vermeintlicher Dorf-Idylle und Großstadt. Lässt Angst und Trauer und Schmerz zu, sucht aber weiter nach Zuversicht, wie an jenen Abenden, in der ein verhangener Himmel aufriss und eine gleißende Sonne durch die Wolken schien.

      Er legt den namenlosen Jugendlichen ab und wird ein Künstler, dessen Namen man von heute an noch häufig hören wird. Er Wird Sharaktah.
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  • Clueso - ALBUM
    • Clueso - ALBUM
    • Clueso 2021
       
      Es gibt nicht besonders viele Leute, die im Tatort genauso eine gute Figur machen, wie mit Capital Bra im Studio oder mit Udo Lindenberg auf der Bühne. Genau genommen gibt es in diesem Land nur einen: Clueso. Dem Erfurter gelang in den vergangenen 20 Jahren eine ganz und gar einzigartige Karriere. In einer Zeit, in der Genregrenzen immer unwichtiger geworden sind, ist Clueso ein Wandler zwischen den Welten. Die zentrale Triebfeder seiner Arbeit ist die Leidenschaft für Musik jeglicher Art und seine kreative Neugierde.
       
      Zunächst aus dem Hip-Hop kommend, entwickelte sich Clueso kontinuierlich zu einem Songschreiber, Produzenten, Performer und Sänger der absoluten Ausnahmeklasse. Mit jedem Album, mit jeder Tour erreichte er mehr Fans und tat dabei doch stets das, was er tun wollte. So wurde Clueso auf sehr organische Weise immer erfolgreicher, ohne je seine musikalische Vision außer Acht zu lassen.
       
      »Ich bin für alles offen, aber man kann nicht alles mit mir machen«: Das ist die künstlerische Handlungsanleitung, der Clueso auf seinem weit verzweigten musikalischen Weg folgt. Clueso hat viele Freunde und ist in vielen Genres zu Hause. Er hat überall auf der Welt Konzerte gegeben, mit Orchestern ebenso gespielt wie mit Jazz-Bands und Rap-Crews – und dennoch ist seine Musik sehr eigen, unverkennbar. Und das liegt vor allem an ihrem Kern: Cluesos Stimme und sein akzentuiertes Gitarrenspiel, das stetige Changieren zwischen Euphorie und Melancholie, zwischen Introspektion und Emphase – und natürlich dieses ganz besondere Talent für hochmemorable Melodien. 
       
      Zwanzig Jahre ist es nun her, seit Clueso 2001 sein erstes »richtiges« Album unter diesem Künstlernamen veröffentlicht hat, »Text und Ton«. Aktiv war er da schon länger: Seit den ersten Auftritten mit EFP 96 und Wostok MCs Mitte der Neunziger ist einiges passiert. Nun aber nahm eine Karriere ihren Lauf, die man in jeglicher Hinsicht als herausragend bezeichnen muss. Bereits mit dem zweiten Album, »Gute Musik«, erweiterte der vormalige Rapper sein musikalisches Spektrum, ihm gelang der Durchbruch.
       
      In den folgenden Jahren trat Clueso mehrfach beim Bundesvision Song Contest an und ging mit Herbert Grönemeyer auf Tour. Er spielte internationale Konzerte und produzierte in der kreativen Abgeschiedenheit seines Erfurter Kreativlabors Zughafen die Alben »Weit weg« und »So sehr dabei«, das 2009 mit der Gold-Single »Gewinner« seinen bis dahin größten Hit enthielt.
       
      Clueso wurde insgesamt siebenmal bei der 1 Live Krone ausgezeichnet, engagierte sich sozial, schrieb das Buch »Clueso. Von und über«. Für sein Nummer-eins-Album Album »Stadtrandlichter« übernahm er dann 2014 selbst die Produktion und veröffentlichte es über sein eigenes Label Text und Ton. 2016 verließ Clueso den Zughafen und trennte sich von seiner langjährigen Band und Management.
       
      Diese einschneidenden Veränderungen nahm er jedoch nicht im Streit vor, sondern wie immer ging es ihm auch hier um Entwicklung und künstlerisches Neuland. Gemeinsam mit dem Produzenten Tobias Kuhn nahm Clueso daraufhin ein passenderweise »Neuanfang« betiteltes Album in dem neuen Setup auf, das ebenso wie das 2018 folgende »Handgepäck I« von null auf eins in die deutschen Charts einstieg. 
       
      Davor und danach arbeitete Clueso mit musikalischen Jugendhelden wie Udo Lindenberg, Wolfgang Niedecken und den Fantastischen Vier zusammen und spielte 2021 in der Tatort-Folge »Hetzjagd« mit. Er stellt sich bis heute immer wieder in Frage, entwirft neue Konzepte und Ideen.  
       
      Zum Beispiel 2020: Im 20. Jahr seiner Karriere erfand sich der musikalische Grenzgänger Clueso ein weiteres Mal ein bisschen neu. Nach zahlreichen ausverkauften Tourneen, Gold- und Platin-Auszeichnungen und über einer Million verkaufter Alben hat Clueso sein musikalisches Spektrum mit insgesamt sechs Single-Veröffentlichungen seit Februar 2020 noch einmal deutlich erweitert und sich dabei für Kooperationen mit Produzenten und Songschreibern aus den verschiedensten Bereichen geöffnet, hinzu kam der Megahit»Andere Welt« mit Capital Bra und KC Rebel. 
       
      Diesen einmaligen Singles-Reigen mit bislang über 100 Millionen Streams schließt Clueso nun mit »Willkommen zurück« ab. Das Duett mit Andreas Bourani ist der 
      ideale Sommerhit genau zur rechten Zeit. Der Soundtrack für die kommenden Wochen einer hoffentlich nicht nur temporären Erleichterung nach anderthalb Jahren Pandemie und für Bourani zugleich die Rückkehr ins Studio nach sechs Jahren Pause. Mit »Willkommen zurück« feiern die beiden die Freundschaft und das Leben, die Magie von Begegnungen und die Kostbarkeit von flüchtigen gemeinsamen Augenblicken. Der ideale Song also, um wenigstens einmal kurz durchzuatmen – und sich ab sofort auf das »ALBUM« zu freuen. 
       
      Richtig gelesen: Der vorläufige Höhepunkt dieser anderthalb wahnwitzigen Clueso-Jahre ist nun das am 1. Oktober 2021 erscheinende »ALBUM«. Und ja, noch mal richtig gelesen: Das neunte Clueso-Album ist nicht nur ein solches, es heißt auch so – durchaus ein Statement für eine Kunstform, die Clueso bei aller Playlisten-Souveränität und Radiohit-Expertise natürlich am Herzen liegt. 
       
      Nicht nur musikalisch, auch in geschäftlicher Hinsicht ist das »ALBUM« übrigens ein weiterer Neubeginn für Clueso: Nach vielen Jahren mit Universal als Vertriebspartner wird das Album wie bereits die sieben Singles bei Epic/Sony Music erscheinen. Clueso freut sich indes vor allem, diese neuen Songs endlich mit seinen Fans teilen zu können. Zur Veröffentlichung vom »ALBUM« am 1. Oktober – und danach auch endlich wieder auf der Bühne. »Willkommen zurück«? Er war ja nie weg!
       
       
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  • Mighty Oaks - Mexico
    • Mighty Oaks - Mexico
    • Mighty Oaks – das neue Album “Mexico”

      Label: Howl Records distributed by Sony Music Entertainment

      VÖ: 07.05.2021

       

      „I never saw it coming / an avalanche of hard ship“: mit diesen Worten eröffnet Ian Hooper das vierte Album von Mighty Oaks, MEXICO. Erfrischend ehrlich angesichts der Tatsache, dass wir seit nunmehr über einem Jahr weltweit unter der Pandemie leiden, gesundheitlich, psychisch, sozial. Aber Ian Hooper, Claudio Donzelli und Craig Saunders baden nicht in Corona-Verzweiflung und Selbstmitleid, nein, ihr neues Album verbindet die ehrliche Auseinandersetzung mit schwierigen Themen wie Sucht oder psychischer Gesundheit mit Hoffnung und Hymnen auf die Liebe – zur Familie, zu Freund*innen, zum Partner und zum Leben. So, wie man es von Mighty Oaks kennt, aber intimer und persönlicher als vielleicht jemals zuvor in ihrer Karriere. 

       

      Ihr letztes Album, All Things Go, erschien vor genau einem Jahr, sie verbrachten Februar und März auf Tour und dann – Stille. „Corona war uns die ganze Tour über auf den Fersen“, erzählt Sänger und Songwriter Ian Hooper und lacht, „wir kamen gerade aus Norwegen zurück und ein paar Tage später hieß es schon: Lock down!“ Für Hooper der perfekte Anlass, seinen Traum vom Kellerstudio, an dem er schon lange bastelte, endlich umzusetzen. „Zum ersten Mal seit vielleicht unserem ersten Album hatte ich die Ruhe und die Zeit, einfach nur einen Haufen Songs zu schreiben”, erinnert sich Hooper, “vielleicht klingt es deswegen auch so viel mehr aus einem Guss als unsere letzten Alben.“

       

      Die drei Bandkollegen und langjährigen Freunde nahmen die Songs dann gemeinsam mit ihrem Produzenten Nikolai Potthoff und ihrem Schlagzeuger Jonah Förster in Hoopers Heimstudio auf, was auch ein kleines Abenteuer war: wie würde es klingen? „Ich hatte es noch nie wirklich ausprobiert, wie würden zum Beispiel Drums dort klingen? Wir waren alle etwas nervös, ich auch. Aber es war wirklich das Beste, was wir hätten tun können. Zuhause aufzunehmen hat uns zurückversetzt zu diesem Gefühl der Anfangstage der Band, als Claudio und ich anfingen in seiner Wohnung Musik zu machen“, erinnert sich Hooper, „ich habe mich schon lange nicht mehr so im Frieden mit mir selbst als Musiker gefühlt. Zuhause aufzunehmen hat auch den Druck rausgenommen: diese Zeit war unsere Zeit, wir mussten kein großes Studio bezahlen, niemand hat irgendetwas von uns erwartet, wir hatten einfach Zeit für uns.“ 

       

      Und so verbindet MEXICO das Beste aus beiden Welten: es ist so intim, persönlich und unmittelbar, wie Mighty Oaks klangen als sich die Welt in sie verliebte. Aber gleichzeitig ist es auch das erwachsene Album dreier Musiker, die ihre Stimme gefunden haben, die das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen leben und die sich schon längst nicht mehr beweisen müssen – und gerade deswegen umso ehrlichere, direktere und berührendere Songs schreiben können, Songs für unsere Zeit. „Die letzten Monate waren für niemanden leicht. Die Musik war für mich mein Outlet“, sagt Hooper. Eine Parlour-Gitarre, die er tiefer und dunkler gestimmt hat, hat viele der Stücke inspiriert ist auf fast jedem Song zu hören, auch kam der Computer weniger zum Einsatz, weniger Plug-ins, mehr Livegefühl. „Back to the roots“, sozusagen. „Die satten, analogen Harmonien klingen wie eine flauschige Decke, warm und irgendwie angenehmer“, schwärmt der Sänger.

       

      Ein Beispiel dafür ist das erste Stück des Albums, LAND OF BROKEN DREAMS, der Hooper als Amerikaner besonders am Herzen liegt: Was bleibt übrig vom American Dream? Oder der Titeltrack MEXICO, das Titelstück des Albums: „Ich schrieb den Song, als wir gerade den ersten Lock down erlebten und Menschen sich um eine Packung Toilettenpapier stritten – wir haben uns als Menschen so weit entwickelt und dann passiert so etwas? Es ist absurd! Es ist ein eskapistischer Song, aber auch eine ironische Kritik der Absurdität von allem gerade.“ Es sind Songs, die zweifellos gefärbt sind von unserer aller Erfahrungen in dieser Zeit, aber gleichzeitig sind sie zeitlos, es geht um Wahrheiten, die auch in fünfzehn oder zwanzig Jahren noch gültig sind.

       

      Ein anderes Thema, das in Hoopers Songwriting immer wieder auftaucht, sind Beziehungen und Liebe: auf GHOST zum Beispiel geht es darum, dass es gar nicht so leicht ist, eine Beziehung zu pflegen – aber, dass es sich lohnt, daran festzuhalten, das soulige BY YOUR SIDE ist eine Hymne dafür, für eine geliebte Person da zu sein, wenn sie gerade durch schwierige Zeiten geht.

       

      Im Frühjahr 2021 wird Ian Hooper an der achten Staffel der von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ teilnehmen und dort auch mit den anderen Bandmitglieder auftreten. „Es war eine gute Motivation, endlich die Aufnahmen zu beenden und rauszugehen mit dem Album“, lacht Hooper. In einem Jahr, in dem immer noch nicht klar ist, wann Bands wieder Livekonzerte spielen können, übernehmen Mighty Oaks eben die Bühne mitten in unseren Wohnzimmern – ein schöner Vorgeschmack auf alles, was noch kommt.

       

      Das Dunkle und das Helle, das Glück und die Verzweiflung, sie liegen nah beieinander. Wie eben im echten Leben. Mit MEXICO zeigen Mighty Oaks, was sie am besten können – und wo die Reise noch hingehen kann. „Ich habe mich noch nie so gut über ein Album gefühlt wie jetzt“, sagt Ian Hooper. Und wer einmal zuhört, weiß genau warum.

       
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  • Mine - Hinüber
    • Mine - Hinüber
    • MINE - „HINÜBER“
      Caroline International 
      VÖ: 30. April 2021
       
      Dunkle Streicher, bedrohliche Trommeln. So geht es los. Und wird erstmal nicht leichter. Denn dann singt Mine mit dieser tollen Stimme, die alle Radiohits der Welt (und vor allem die deutschen) in mindestens genauso schön singen könnte: „Ich bin 100 Jahre alt / Mein Kopf ist voll, die Füße kalt / Die ganze Welt hat sich auf meine Brust gesetzt / Der Mensch ist so ein argloses Geschöpf.“ Ein Break zum Durchatmen, dann wieder diese Streicher. Von ihr arrangiert. Klar. Macht sie immer selbst. Und diese Worte: „Das Meer ist aus Plastik / Der Hunger ist groß / Solang’ du nicht matt bist / Lass ich dich nicht los.“ Es gibt sicher flockigere Wege, ein Album zu eröffnen. Aber warum sollte man das tun – nach so einem beschissenen Jahr? Und warum nicht den Leuten erst einmal diesen wuchtigen Songbrocken namens „HINÜBER“ an den Kopf werfen, in dem übrigens die große Sophie Hunger als Gast einen furiosen Auftritt hat? Durchatmen kann man ja später.
       
      Das Titelstück und der Rausschmeißer „UNFALL“ bilden eine starke Klammer des im April erscheinenden Albums von Mine. Mit „UNFALL“ eröffnete sie auch die Kampagne dazu. Mal wieder mit einer außergewöhnlichen Idee, wie man das von ihr so kennt. Auf der Website singMINEsong.de ließ sie ihren musikalischen Fans und befreundeten Künstler*innen den Vortritt, teilte Noten und Text und lud alle ein, eigene Versionen zu machen, bevor sie ihre veröffentlicht.  Auch „UNFALL“ ist direkt und gesellschaftskritisch, ohne dabei belehrend zu sein. Vielmehr verbeißen sich Mines Fragen im eigenen Denken: „Was ist Freiheit? Wer beengt mich? Was ist Arbeit? Wer beschenkt mich? Wer hat stets genug für sich? Wer starrt hungrig auf den Tisch?“ Die Musik dazu brodelt und dröhnt, ist dann mal wieder ganz zärtlich, bäumt sich auf, fällt in sich zusammen, wirft einen durch den Raum. 
      Im Gespräch sagt Mine: „2020 war natürlich wie gemacht dafür, ein wenig mehr nachzudenken, weil man viel Zeit mit sich selbst verbringen musste. ‚Unfall‘ fasst sehr gut zusammen, wie ich mich gefühlt habe. Der Dezember ist genau die richtige Zeit, um Revue passieren zu lassen, was in diesem Jahr los war und wie privilegiert wir trotz allem leben können, während anderswo – zum Beispiel an den EU-Grenzen – die Situation verheerend ist. Sich diese Dinge bewusst zu machen, ist für mich jetzt die wichtigere Message als ein Weihnachts- oder ein Liebeslied.“ 
       
      Aber keine Bange: „HINÜBER“ ist nicht die große Pandemie-Platte. Ein neues Album stand bei Mine eh an, obwohl „Klebstoff“ noch gar nicht so lange her ist. Sie hätte eh ein Jahr ohne eigene Tour gehabt. Was zum Teil daran lag, dass die Zeit davor sehr gut für sie lief. Dank „Klebstoff“ war sie beim Preis für Popkultur gleich in drei Kategorien nominiert, 2016 hatte sie diesen bereits als „Beste Künstlerin“ gewonnen. Ihre Tour war komplett ausverkauft, und – das unterschreiben wohl alle, die dort waren – eine durch und durch herzenswarme Angelegenheit. Etwas ungläubig lachend, erzählt sie: „2019 war wirklich das erste Jahr, in dem ich mal so viel verdient habe, dass sogar ein Polster da war.“ So hatte dieses komische Jahr also über Bande gespielt, trotzdem Einfluss auf ihre Arbeit: „Ich würde nie sagen, dass die Pandemie auch was Positives hat. Ich musste allerdings feststellen, dass ich mehr Luft hatte, weil eben alle Live-Sachen weggefallen sind. Ich habe also vielleicht mehr Arbeitszeit in dieses Album stecken können, als es normalerweise möglich gewesen wäre. Die Liebe zum Musikmachen und auch die Euphorie waren deshalb noch ein wenig krasser als sonst. Wobei das auch daran liegt, dass ich zwar immer schon viel selbst produziert habe, aber meine Skills von Album zu Album gewachsen sind. Es hat mir einen Kick gegeben zu merken, dass ich inzwischen komplett autark arbeiten kann, wenn ich will. Deswegen bin ich an diesen Liedern gefühlt so nah dran wie nie zuvor.“
      Wie sonst auch, waren ihre Wegbegleiter Marcus Wüst und Dennis Kopacz, seit Album Nummer eins dabei, weiterhin an der Produktion beteiligt. Hier zeigt sich wieder, was Mines Karriere seit jeher auszeichnet: ihr DIY-Spirit, ihr Netzwerk befreundeter Musiker*innen, ihr Drang permanent in Bewegung zu bleiben und ihr mitreißendes Engagement für die Musik. In den letzten zehn Jahren hat Mine ja nicht nur grandiose Soloalben wie „Das Ziel ist im Weg“ und „Klebstoff“ aufgenommen, sie hat auch mal eben ein selbst finanziertes Orchester-Konzert samt Live-Platte auf die Beine gestellt, mit der Quarantöne-Version von „Schminke“ eine der schönsten Pandemie-Sessions des Jahres aufgenommen und mit ihrem guten Freund Fatoni die wohl schmerz- und scherzvollste Paartherapie, die jemals dokumentiert wurde, als Album eingespielt („Alle Liebe nachträglich“).
       
      Trotzdem waren es wohl die Pandemie, der Blick auf die Weltlage und die Sorgen vieler befreundeter Künstlerinnen und Künstler, die Lieder wie „UNFALL“, „HINÜBER“ oder „TIER“ mit eher politischen und existenzialistischen Gedanken färbten. Sie selbst erklärt ihre Gemütslage so: „Ich habe deutlicher als je zuvor mein eigenes Privileg gecheckt, glaube ich. Ich kann vom Musikmachen leben. Ich kenne wahnsinnig tolle, kreative Leute. Das führte irgendwie zum Gedanken, dass ich noch mehr daraus machen muss. So viel wie in diesem Jahr habe ich zum Beispiel noch nie gespendet – privat und durch die Spendenkonzerte, die ich mit Fatoni gespielt habe. Da kam einiges zusammen. Außerdem stört es mich, dass man den Eindruck bekommt, unsere Gesellschaft sei gespaltener denn je. Daran will ich nicht glauben. Natürlich knallt es oft, weil eben gerade dringliche Themen eskalieren, die vielen, die davon nicht direkt betroffen sind aber nun umdenken müssen, unangenehm vorkommen. Und die dann laut Rumheulen und sich selbst als Opfer stilisieren. Ich wünsche mir einfach, dass einer von denen einfach mal Rücken und Einsicht zeigt. In diesem Jahr ist so viel passiert, so viele Instagrammer*innen oder Musiker*innen haben sich teilweise mit rassistischem Mist selbst ans Bein geschissen. Da tut es mir zwar manchmal auch leid, weil die sich der Tragweite einer Aussage vielleicht wirklich erst nicht bewusst waren, aber vielleicht checken sie es eben auch nur so. Ist es denn so schwer, dann mal zuzugeben: ‚Oh shit, ich wusste gar nicht, wie sehr dich das verletzt, was ich da gesagt oder gepostet habe.‘“
       
      Platz für ergreifende Lieder über Gefühlsdinge bleibt auf „HINÜBER“ aber dennoch. „BITTE BLEIB“ ist da ein gutes Beispiel. Ein Song, der wieder einmal metaphorische Haken schlägt, was man spätestens merkt, wenn sich der Refrain komplett entfaltet und fordert: „Bitte bleib nicht wie du bist.“ Ein Lied über Abschied und die Notwendigkeit, sich zu verändern, „BITTE BLEIB“ zu nennen – das hat schon Chuzpe. „ELEFANT“ ist ein weiteres Highlight dieser Art. Ein Track, bei dem Mine mal mit Kopfstimme singt, fast funkig, als habe da jemand viel Prince gehört in letzter Zeit. Textlich geht es natürlich, um den Elefant, der da im Raum steht. Eine tolle, allseits bekannte Metapher, die endlich mal ihre eigene Hymne verdient hat. Mines Augen strahlen, wenn sie darüber spricht: „Den Track feiere ich voll. Den habe ich geschrieben und gleich gemerkt: Geil, der puncht. Die Idee kam mir, als ich mal nachmittags cheesy Privatfernsehprogramm geschaut habe und da im Hintergrund so schlechte Fahrstuhlmusik lief. Diese leichte Tänzeln fand ich faszinierend und wollte damit was machen.“ 
       
      Man merkt schon jetzt, dass es weiterhin schwierig bleibt, bei Mine das „Klingt wie …“-Referenz-Karussell anzuwerfen. Ihre Musik hat in der deutschen Pop-Landschaft einen Sonderstatus. Man hört ihren Songs an, dass sie gerne mit dem angenehmen Teil des deutschen HipHops arbeitet, Leuten wie den Orsons, Edgar Wasser, Dexter, Crack Ignaz, Großstadtgeflüster, Samy Deluxe und natürlich Fatoni. Gleichzeitig hat sie eine Affinität zu Popsongs, die mit einfachen Worten mehr sagen wollen und eine ganz eigene Sprache sprechen – etwas, dass Tristan Brusch und Haller, oder auch Sophie Hunger in ihren deutschsprachigen Stücken immer wieder hinbekommen. All die hier genannten Namen haben übrigens tatsächlich schon mit Mine Songs aufgenommen – was vielleicht die These nahelegt, dass die beste Mine-Referenz die Quersumme all ihrer stets handverlesenen Gäste ist. Eine Referenz, die Mine oft selbst nennt ist übrigens Judith Holofernes. „Ach, sie ist und bleibt großartig. Ich kenne immer noch alle Alben von Wir Sind Helden auswendig. Judith Holofernes hat so krasse Sachen gemacht. So ganz einfache Bilder, die viel mehr aussagen, als die eigentlichen Wörter hergeben würden. Deshalb bin ich oft an diesen Grenzen unterwegs und versuche durchzubrechen, um noch eine schnellere, extremere Brücke in die Emotion zu schlagen.“ Das ist ihr auf „HINÜBER“ diesmal noch besser gelungen als zuvor. Fast könnte man meinen, sie hat extra den ein oder anderen lyrischen Schlenker ausgelassen, um noch direktere Treffer landen zu können. Wie sie es bei „MEIN HERZ“ schafft. Ein anfangs langsamer, auf schüchtern pluckernden Beats voran schreitender Gedankengang: „Du fehlst mir wie die Kindheit / Ich kann daran nichts tun / Ich sage: „Lass und reden!“ / Du sagst: „Lass es ruh’n!““ Und dann kommt die emotionale Attacke auf dunklen Streicherklängen: „Es zerreißt mein Herz / Wie kannst du mir das antun?“ Uff, das entfaltet eine Dramatik, wie man sie im deutschen Pop selten spürt – zumindest ohne, dass ein Lied in Kitsch und Pathos kippt. Taktik, um endlich einmal so oft im Radio gespielt zu werden, wie es diese Musik eigentlich sollte, ist das dennoch nicht. „Es ist schon Absicht, dass einige Leider textlich zugänglicher sind. Ich fände es auch gar nicht verwerflich zu sagen: ‚Ich mach jetzt mal eine Platte, die besonders viele Leute erreichen soll.‘ Aber mir ist das nicht so wichtig: Für mich war es eine Challenge. Ich fand es schon immer total krass, wenn dich Popsongs unmittelbar erreichen, aber trotzdem nicht so ekelhaft anbiedernd um die Ecke kommen. Bei Liedern wie ‚Mein Herz‘ habe ich selber schon mal gedacht: ‚Krass, das hätte ich früher wahrscheinlich nicht so geschrieben, weil ich schlicht nicht den Mut gehabt hätte, das so direkt zu formulieren.‘“
       
      Der Spaß an der Weiterentwicklung, sei es jetzt lyrisch, produktionstechnisch oder in Sachen Songwriting, sorgt dann auch dafür, dass die Emotions-Mische von „HINÜBER“ am Ende nicht trübe oder gar bitter schmeckt. „Schuld“ daran sind Lieder wie „AUDIOT“, bei dem sie mit Crack Ignaz und Dexter dem Formatradiomist recht charmant ans Bein pinkelt. „Du magst Scheiße, doch das is schon ok / Es ist ok, es tut niemandem weh“, bietet sie da diplomatisch – und trotzdem herrlich böse an. Oder aber der Sommerhit, den man hoffentlich im kommenden Jahr aus allen Eisdielen schallen hört: „EISCREME “. Eine Liebeserklärung an – genau: Eis. Das ist musikalisch mindestens so zuckersüß wie „Ice Cream“ von der K-Pop-Band Blackpink und traut sich sogar einen Eisdielen-Shout-Out am Ende. MINE freut es, wenn einem dieser Song Freude bereitet: „Ich finde, ein Album darf nicht langweilig sein. Das ist mein wichtigster Anspruch. Ich hatte halt schon so viele deepe, schwermütige Songs und habe die ganze Zeit überlegt, was ich denn noch Positives besingen könnte. Und mir fiel lange nix ein. Aber dann dachte ich plötzlich an Eis – vermutlich weil ich es immer essen kann und wir auch im Studio oft zur Eisdiele gegangen sind. Dann habe ich diesen Beat gebaut, der mir so ein wenig cremig vorkam und wie Eis für mich klang. Das hatte dann wiederum Einfluss auf den Text, bei dem ich einfach Riesenspaß hatte. Ich liebe diesen Song, weil ich so was Leichtes noch nie auf einem Album hatte. Irgendwie passend, den dann ausgerechnet auf ‚HINÜBER‘ zu packen.“ Stimmt.  
       
       
       
       
       
       
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  • AnnenMayKantereit - 12
    • AnnenMayKantereit - 12
    • AnnenMayKantereit – 12

      Normalerweise würden hier jetzt die ersten Sätze einer sogenannten „Bio“ stehen.
      Bei einem normalen Release schreibt jetzt jemand, den die Band xy kaum kennt, über eben diese Band xy. Das war irgendwie schon immer so.
      Über das neue Album, warum es total anders ist und so weiter und so weiter. Ein Fließtext von den Anfängen bis zum Heute, möglichst aussagekräftig und mit ganz vielen Metaphern.
      Diese sogenannte „Bio“ ist nämlich Werbung.
      Werbung in eigener Sache, gemacht für Radiostationen, Redaktionen, Veranstalter und so weiter und so weiter.

      Weil dieses Jahr anders ist, haben wir uns dagegen entschieden, diesen Text schreiben zu lassen.
      Diesmal schreiben wir diesen Text.


      Wir – sind Severin, Henning und Christopher.
      Wir haben 2011 angefangen Straßenmusik zu machen, haben es 2012 irgendwie geschafft, kein Studium zu beginnen, 2013 konnten wir bereits in Clubs und auf Campingplätzen spielen, 2014 war unser erstes Jahr voller Festivals und über hundert Konzerten, 2015 war ähnlich intensiv und 2016 haben wir unser erstes Album veröffentlicht.

      2017 haben wir angefangen, eigene Festivals zu veranstalten und haben dazu noch ein Live-Album veröffentlicht. 2018 haben wir eine Tour-Pause gemacht und dafür so viel Zeit wie es geht in unser zweites Album gesteckt. Nachdem wir 2019 selbstverständlich wieder viel auf Tour waren, kam das Jahr 2020.
      Und na ja, wo fängt man da an...

      Vielleicht in Görlitz. Dort haben wir unser „Warm-Up“ Konzert gespielt.
      Das war das „Aufwärmen“ für unsere bisher größte Tour.
      Wir wollten zum ersten Mal in Moskau spielen und dann gleich zwei Konzerte. Wir hatten die Hamburger Trabrennbahn ausverkauft, waren für Festivals gebucht, wir wollten nach St. Petersburg und Istanbul...

      Und dann – Zack.

      Es war tatsächlich surreal.

      Als am 28.02. aufgrund des Infektionsschutzgesetzes unser Konzert nicht stattfinden konnte, war ich erstmal sprachlos.
      Die Mitarbeiter der Schweizer Behörden rieten uns zur umgehenden Ausreise. Unser Team hatte die Bühne bereits in die Halle gebaut. Es war Mittag und wir wollten eigentlich die größte Mehrzweckhalle der Schweiz bespielen.
      Wir haben stattdessen das Land verlassen. Richtung Deutschland.
      In deutschen Städten hing danach jedes Konzert am seidenen Faden.
      Spielen wir? Spielen wir nicht?
      Das letzte Konzert kam sieben Tage später. Im wunderbaren Chemnitz.
      Das Konzert danach in Freiburg, am 10.03., konnte nicht mehr stattfinden.

      Am 11.03. waren wir dann alle ziemlich überraschend wieder in den eigenen vier Wänden. Am 12. wären wir eigentlich ein Bremen gewesen, am 13. in Köln, und so weiter und so weiter.
      Jeder war plötzlich allein mit der Tatsache, dass dieses Jahr anders wird.

      Dann kam der Lockdown.
      Und im Lockdown haben wir ein Album gemacht.
      Dementsprechend düster sind einige der Lieder.
      Insgesamt ist das neue Album sehr von den Wochen geprägt, in denen es entstanden ist.
      Per Video-Call. Per Telefon. Per Mail und in Chatverläufen.
      Christopher war im Proberaum, Severin im spontan aufgebauten Homestudio und ich hatte die Gelegenheit, an einem desinfizierten Klavier zu arbeiten. Inklusive Markus Ganter (unserem Produzenten) hinter einer Glasscheibe. Wir haben uns eigentlich jeden Tag zu Ideen ausgetauscht, neue Elemente diskutiert, Anhänge weitergeleitet und darüber gesprochen, wo das unfertige Lied „hinwill“.

      Mitte Mai haben wir uns dann in der Eifel getroffen, um das schon vorhandene Material nochmal ein gutes Stück weiterzubringen.
      Wir haben uns oft für die Momente entschieden.
      Für die spontanen Handy-Aufnahmen, für die Versprecher, das Räuspern, das Vogelzwitschern oder knarzende Klavierstühle.

      Hoffentlich kann man erahnen, was wir damit gern unterstreichen wollten.

      Da wir in der Eifel irgendwie jeden Tag total produktiv waren, haben wir am Tag unserer Abreise zum ersten Mal die neuen Lieder in Reihenfolge gehört.

      Nach dem Hören hat Sevi dann gesagt – das fühlt sich wie ein Album an. Irgendwie war plötzlich glasklar, dass wir nur mit neuen Liedern ein Album machen, ohne „Ausgehen“, „Ozean“ oder „Tommi“.
      Nach unserem Eifel-Trip hatten wir dann Ende Mai ein paar Tage mit Malte im Proberaum.

      Malte kam und brachte nicht nur seine routiniert entspannte Art mit, sondern auch ein paar feine Basslinien und gute Ideen mit.

      Danach war Markus Ganter dran.
      Denn um die Songs wirklich fertig zu machen, müssen wir natürlich noch ein paar Wochen unseren Produzenten quälen und Wetten darauf abschließen, wie viele Haare ihm ausfallen.
      Markus hat diesmal nicht nur produziert, sondern auch einige Bässe gespielt. Natürlich hat er auch mit arrangiert.
      Das kann er nämlich fast so gut wie Mixen – seine heimliche Sucht.
      Das „Mixing“ hat Markus übernommen, das Mastering hat Zino gemacht.
      Danke dafür.

      So.
      Es ist fertig.
      Unser drittes Album. Es heißt „Zwölf“.

      Es ist ein Album aus dem Lockdown. Ein Album, das unter Schock entstanden ist. Für uns hat es immer drei Teile gehabt –
      den düsteren Beginn, das Aufatmen danach und die süß-bittere Wahrheit zum Schluss.

      Wir wünschen uns, dass dieses Album am Stück gehört wird.
      Die Reihenfolge der Lieder hat für uns Bedeutung, und wer so großzügig ist sich das Album auch in dieser Reihenfolge anzuhören hat einen gepolsterten Sitzplatz in der Mehrzweckhalle unserer Herzen.

      Hoffentlich bis bald. Hoffentlich.

      Severin, Christopher, Henning. AnnenMayKantereit.

      Text: Henning May
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  • ELIF - Nacht
    • ELIF - Nacht
    • ELIF Bio 2021

      Das Jahr 2020 hätte für ELIF nicht besser laufen können Mit ihrem Album NACHT stieg die Sängerin im September auf Platz 7 der Deutschen Albumcharts ein und verkaufte auch die dazugehörige Box restlos aus. AUGEN ZU, ihr Duett mit Samra, stieg auf Platz 9 der Deutschen Singlecharts ein. Zudem war ELIF auch als Feature auf den Alben von Mero und Katja Krasavice zu hören. Das gemeinsame mit Katja veröffentlichte Duett HIGHWAY stieg im Januar 2021 von 0 auf Platz 1 der Deutschen Singlecharts ein. Auch ELIFs neuste Solosingle „Du liebst nur dich selbst“ steht bereits bei mehr als 2 Millionen Streams – und mit ihrem Konzert im Rahmen der „O2 Priority“-Serie setzte ELIF neue Standards im Hinblick auf Live-Stream-Konzerte in Deutschland.

      Erfolge, die nicht von ungefähr kommen. Sie sind das Resultat einer langen Reise. Einer, die schon nach dem Release von ELIFs zweitem Album „Doppelleben“ begann. Klar waren da die ausverkaufte Unplugged-Tour und der Musikautorenpreis. Aber die letzten Jahre waren nicht immer einfach für ELIF. Sie trennt sich von ihrem Label und ihrem Management und beendet noch dazu die toxische Beziehung, in der sie sich zu der Zeit befindet. „Der Typ hat mich runtergemacht und mir mein Selbstwertgefühl genommen, bis nichts mehr von mir übrig war“, blickt ELIF zurück. „Wenn man die ganze Zeit nur hört, dass man nichts kann und nichts wert ist, glaubt man das irgendwann.“

      Nach der Trennung fällt ELIF in ein tiefes Loch und erleidet ein Burnout. Sie entscheidet sich, eine Therapie zu machen. „Ich habe zum ersten Mal über meine Ängste gesprochen. Über die Manipulationsversuche von anderen. Über meine Triggerpunkte, die mich immer wieder aus der Bahn geworfen haben. Ich dachte immer, dass ich mit der Musik angefangen habe, um mich besser zu verstehen. Aber das ist mir nie wirklich gelungen. Es hat mir total geholfen, mir professionelle Hilfe zu holen, Erlebnisse aus meiner Kindheit aufzuarbeiten und mich dadurch viel besser zu verstehen.“

      ELIF sortiert sich neu: Wer will ich sein? Wer bin ich gewesen? Was für Musik habe ich gemacht? Wie möchte ich jetzt klingen? „Ich habe gelernt, dass Kunst nicht dafür da ist, um Dinge zu verarbeiten. Ich habe die Kunst immer genutzt, um mich besser verstehen zu wollen. Aber Kunst entsteht einfach. Ich schreibe ein Lied, weil ich bin, wie ich bin.“

      Eine Erkenntnis, die für ELIF auch ihre bisherige Diskografie in ein anderes Licht rückt. „Ich liebe meine alten Alben, aber ich habe gemerkt, dass ich in der Musik immer total beherrscht war. Dadurch, dass ich endlich zu mir gefunden und so viel Selbstliebe entwickelt habe, bin ich viel freier geworden. Ich weiß, wer ich bin und schätze mich – so sehr, dass mir egal ist, was alle anderen sagen.“

      Auch im Hinblick auf die Frage, wie ELIF eigentlich klingt. „Ich hatte gar nicht den Plan, anders zu klingen, sondern habe einfach begonnen, andere Musik zu hören. Bloß, weil man mir mal den Stempel Pop-Musikerin aufgedrückt hat, heißt das nicht, dass ich mein ganzes Leben Pop-Musik machen muss. Ich bin keine Dienstleisterin, sondern Künstlerin. Eine Künstlerin, die wachsen will.“

      Warum sich anpassen? Warum wie die anderen sein? Warum machen, was alle von einem verlangen? ELIF bricht mit allen Erwartungen und macht Schluss mit Kompromissen. Sie nimmt die Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse der letzten Jahre mit ins Studio und dort ein Album auf, das dringlicher und direkter nicht klingen könnte. Denn während ein Gros der hiesigen Pop-Musik sich hinter Metaphern und Plattitüden versteckt, ist auf NACHT kein Platz für Filter und doppelten Boden. ELIF sagt die Dinge, wie sie sind.
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  • Zugezogen Maskulin - 10 Jahre Abfuck
    • Zugezogen Maskulin - 10 Jahre Abfuck
    • Zwei junge Männer verlassen ein ehemaliges Reichsbahn-Gebäude, in dem sich nach der Wende Musikstudios eingenistet haben. Keine Highclass-Studios, wie die beiden sie im Rahmen ihres Praktikums kennengelernt haben, wenn Interviews anstehen und sich Rapper vor ihnen in tiefen Ledersesseln aalen, von ihren Alben erzählen, von den anstehenden Touren, vom Erfolg – und die beiden jungen Männer zuhören und nicken – mit einem Aufnahmegerät in der Hand.
      Jedenfalls sieht es danach aus, im Kopf läuft jedoch was ganz anderes ab, sie wollen selber im tiefen Ledersessel sitzen, vor einem dankbaren Publikum, denn trotz aller Versicherungen sich selbst oder ihrem Chef gegenüber: Eigentlich wollen die beiden selber Rapper sein.
      Oder noch besser: Rapstars.
       
      Und vielleicht kommen sie jetzt diesem Ziel näher, denn heute, in diesem kleinen, etwas heruntergekommenen Studio, ist ihre erste gemeinsame Platte fertig geworden. Der Titel, eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Provinz-Komplex. Aber er verfängt gut, mal gucken, was man noch damit anfängt, mit diesem schrägen Namen, mit ZUGEZOGEN MASKULIN.
       
      Passt ja auch, 2010 ist ein schräges Jahr, neues Jahrzehnt, neue Superlative, die wahrscheinlich so nicht mehr zu überbieten sind: Die Schweinegrippe besorgt die Menschen, ein Vulkan sorgt dafür, dass in manchen Teilen Europas kein Flugzeug startet und ein SPD-Politiker sorgt mit seinem Buch für einen, vorher undenkbaren, Rechtsruck – wenigstens hat man schon länger nicht mehr von den Dönermorden gehört.
       
      Was beide zu diesem Punkt nicht wissen, nur hoffen: Die Rapstarträume werden sich erfüllen. Es wird rauschhaft, Anerkennung, dieses bohrende Verlangen nach Anerkennung, Geld, Ruhm, all das gibt es bald – aber der Kater wird gigantisch.
      Und was die beiden nicht wissen können, aber ahnen: Dieses schräge Jahrzehnt wird noch schriller und seltsamer, mit Verwerfungen, an die man sich im Sommer des Jahres 2020 gewöhnt hat, die bei Bandgründung noch unvorstellbar sind: es werden 10 JAHRE ABFUCK.
       
      Und so berichten Zugezogen Maskulin auf 10 JAHRE ABFUCK von der Ankunft aus der deutschen Provinz in Berlin, „geblendet von den Lichtern, fühlte mich wie Ivan Drago“ und davon, wie man bei „Rap.de“ Menschen interviewt, die einige Jahre später anderen Menschen in Syrien den Kopf abschneiden werden. GRIM104 und TESTO erzählen vom trüben Weg hin zum Erfolg, als „ZM auf dem Normiefest“ spielten, vor Typen mit Deutschlandhut und mit DJ Ötzi als Kontrastprogramm.
      Blicken auf Männer und einengende Männlichkeitskonzeptionen, wenn im Hort aus „zwei Decken und zwei Stühlen“ eine „Liebeshöhle“ wird, in der ein Spielkamerad Küsse auf den Bauch verteilt – und blicken auf Frauen, aus den Augen eines Incel-Raubtiers, dessen Geilheit kein Ventil gesetzt ist und aus den Augen des feministischen Posterboys, dem ein „The Future is female“ genauso schnell von den Lippen geht, wie der bedrohlich-aufdringliche Anruf nachts um 3.
       
      Huldigen „König Alkohol“, der zwar „alles zerstört, alles kaputt um mich rum“, aber dessen Zauberkraft auch für Abenteuer und Legendenbildung sorgt.  Dann, langsam kommt er, „Der Erfolg“, erkennt man, dass man ein „Traumprinz wie Dieter Bohlen“ ist und wenn es nicht klappt mit den Girls, scheiss drauf „wieviel Klicks hat denn dein Neuer, wenn ich fragen darf?“ Lachen irre beim „Tanz auf dem Vulkan“, gegen das bedrohliche Brodeln der Lava aus NSU, AFD, aus Nordkreuz und VS.
      Und landen in der Gegenwart, wenn man begreift, dass Musik machen und Musik verkaufen eventuell zusammen gehören, wenn man gemeinsam mit AHZUMJOT seine Fans zum Kauf der Deluxe-Box einschwört, „ich liebe euch so sehr, ihr dämlichen Viecher“. Wenn die Bühnen groß und größer werden, man unter den irritierten Blicken von Angela Merkel und 40.000 schockierten Zuschauern ein Feiertagsprogramm mit ZM-Klassikern wie „Endlich Wieder Krieg“ bestreitet, „Auftritt Brandenburger Tor, ausgebuht/ aber gut bezahlt – fühlt sich geil an.“
       
      Und wenn man vielleicht langsam müde wird und hofft, dass der Sommer langsam vorbeigeht, wenn man sich wünscht, dass der schwere Goldschmuck endlich dafür sorgt, dass man still und heimlich beim Baden ertränkt wird. Und dass, wenn einem solche Gedanken kommen, vielleicht an der Zeit ist zu gehen. Zeit für einen „EXIT“
       
      Das dieser rauschhafte Rückblick trotzdem so zeitgeistig, weltläufig und aktuell klingt, ist vor allem AHZUMJOT zu verdanken, der als Executive Producer auf 10 JAHRE ABFUCK gearbeitet hat. Der 30-Jährige Hamburger hat der Platte ein minimalistisches und elegantes Soundbild entworfen, in den Produktionen wurde jeder unnötige Pomp abgestoßen, kein Geigen-und-Piano-Pathos, sondern finstere Bass Music und zerhackte, zerschnittene Samples die ineinander gewirbelt werden.
       
      Immer wieder tauchen Soundreferenzen auf obskure Youtube-Schnipsel auf, von „Kai der Brecher“ bis hin zu „Pufferfish eating carrots“. Gespräche aus dem Studio werden mitgeschnitten, kleine Hörspiele mit prominenten Gastsprechern in den Songs versteckt. Denn bei aller Modernität, es klingt nie glatt, nie beliebig, immer werden Kanten und Brüche in die Songs eingebaut. Diese Weirdness blitzt immer wieder auf den Produktionen von SILKERSOFT auf, der neben AHZUMJOT für die Beats auf dem dritten Studio-Album von Zugezogen Maskulin verantwortlich ist.
       
      Und so ist 10 JAHRE ABFUCK Rückschau und Aufbruch zugleich: In einen eleganten und hypermodernen Sound eingepackt, schreiben GRIM104 und TESTO über längst verblasste Anfänge, wühlen im Morast zwischen der Kindheit und ersten Gehversuchen auf Bühnen, Beziehungen und Selbstbehauptungen. Und blicken gleichzeitig in eine Zukunft, die alles sein kann: Hamsterrad oder Emanzipation, strahlende Zukunft oder, hoffen wir es nicht, 10 JAHRE ABFUCK.
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  • Das Moped - erstaunlich klar
    • Das Moped - erstaunlich klar
    • Was Augustin (Gesang, Gitarre), Martin (Gesang, Synths) und Ali (Bass) da auf ihrer Debüt-EP „Geist“ anbieten, klingt irgendwie zu tight, zu stimmig, zu rund, um wirklich von Newbies aufgenommen worden zu sein. Sind das also wirklich Newcomer? Ja, eigentlich schon: Ihre EP ist das erste Lebenszeichen, die erste Show unter dem Namen Das Moped gab oder gibt es erst im April dieses Jahres. Und trotzdem werden alle, die das Hitpotential von „Alle Wollen Liebe“ erkennen, der sphärisch-verwehten Stimmung von „Geist“ erliegen oder das Tänzeln zwischen Melancholie und Catchiness in „Wenn du ehrlich bist“ so gelungen finden wie der Autor dieser Zeilen, ahnen, dass die Drei sich schon eine ganze Weile kennen. Dieses intuitive, treffsichere Zusammenspiel kann man eben nicht zusammen casten. 
       
      Tatsächlich kennen sich Ali, Augustin und Martin schon seit ihrer Schulzeit in Bad Kreuznach in der Nähe von Mainz. Wie das immer so ist. „In der Kleinstadt weiß man eben, wer Mucke macht“, sagt Augustin. „Martin und ich hatten schon in der Oberstufe miteinander zu tun, Ali hat mit meiner Schwester Abi gemacht. Als er 2010 dazu kam, ging es dann mit uns los als Band.“ Allerdings spielte man zunächst unter einem anderen Namen englisch-sprachigen Indie-Pop. Ziemlich guten sogar, aber nach einem Album vor rund vier Jahren und einigen Touren, reizte es sie immer mehr, sich mal in der eigenen Sprache zu versuchen. „Na ja, wir haben halt Englisch gesungen, weil wir damals nur englischsprachige Musik gehört haben“, erklärt Augustin. „Aber eigentlich haben wir uns auch dahinter versteckt. Da geht schon einiges an Klarheit verloren, weil man letztendlich eher so textet, dass es schön klingt.“ 2015 änderte sich das so langsam, vor allem weil Augustin zu der Zeit für andere Künstler hin und wieder deutsche Songs textete. „Dann habe ich das mal für uns probiert und wenig später ist auch Martin drauf angesprungen. Der war anfangs eher kritisch, aber nach und nach haben wir die Detailverliebtheit entdeckt, die man in der eigenen Sprache entwickelt. Da haben wir gecheckt: Das können wir hinbekommen!“ Der Song „Wenn du ehrlich bist“ ist ein guter Beleg dafür: Der Text, der so nuanciert zwischen Ende und Neuanfang pendelt, stammt von Martin. Auch Ali gibt zu: „Ich war mir anfangs nicht sicher, aber dann hat mir die Herausforderung gefallen, noch einmal neue Wege zu gehen mit den beiden. Es war wie ein Schritt in Richtung Erwachsenwerden, dass man nur noch sagt, was man sagen will, so dass es jeder versteht. Wir feilen seit zwei Jahren an den Texten und es wird immer mehr das, was wir immer wollten.“
       
      Natürlich kann so was auch in die Hose gehen: Schließlich ist es dieser Tage fast schon opportun, deutschen Pop zu machen. Läuft schließlich wie geschnitten Brot im Radio – und das obwohl viele Lyrics da klingen, als wäre eine Horde Reimreiter durch die Klischeeprärie galoppiert, um auf halben Weg im Floskelsumpf zu ersaufen. Das Moped passiert das nicht – was vielleicht auch an den Acts liegt, die sie als Referenz nennen. Da wären Wanda, Bilderbuch, Von Wegen Lisbeth und Echt. Wie? Echt jetzt? Ja, sagt Ali: „Warum nicht? Echt waren so gut in ihrem Songwriting. Diese emotionale Klarheit und das bei maximalem Pop-Appeal – das haben wenige so gut hinbekommen wie Kim Frank und seine Jungs.“ Und Augustin ergänzt mit einem Lachen: „Genau, wir wollen die neuen Echt werden! Das wollt ihr Musikjournalisten doch hören.“ Dann ergänzt er, wieder ernster: „Diese emotionale Klarheit, diese Konkrete, das zeichnet uns glaube ich aus. Wir wollen uns nicht hinter schrägen Metaphern verstecken.“ 
       
      Wenn man sich die deutschsprachige Popmusik der letzten Jahre so anschaut oder vielmehr anhört, scheint es eine gute Idee zu sein, vor allem die Acts aus Österreich zu studieren. Das Moped haben sogar eine direkte Verbindung zu einem der erfolgreichsten Acts aus Wien: Ihr Produzent Paul Gallister saß bei allen Wanda-Alben am Mischpult. Ihn lernten sie im Popcamp 2017 kennen, jenem Förderprogramm des deutschen Musikrats, das ausgewählten Acts Workshops mit Profis wie Paul ermöglicht. Gallister gefiel die Professionalität und der verschworene Spirit der Drei und so lud er sie in sein Studio in Wien ein. 
       
      Bleibt am Ende nur die Frage, die sie wohl in jedem Interview noch einmal beantworten müssen: Warum heißen sie Das Moped? Weil sie damit auf Tour gehen wollen? Weil der Name Kettcar schon vergeben war? Weil sie damals die Jeansjackenmofarocker waren, das als Bandname aber doch etwas too much wäre? Nö. „Das ist so ein Insider bei uns“, erklärt Augustin. „Moped war eine Art Universalbegriff für alle möglichen Gegenstände. Nach ein paar Stunden im Proberaum hat man schon mal Wortfindungsstörungen und wenn einem dann die Wörter ‚Kabel‘ oder ‚Wasser‘ oder ‚Mikrofon‘ nicht einfiel, sagten wir einfach: ‚Gib mal das Moped.‘ Meistens wussten dann die anderen was gemeint war. Ein Moped hatte eigentlich nur Ali – wobei das dann doch eher ein Mofa war.“ Und ebenjener ergänzt: „Irgendwie feiern wir damit aber auch, wo wir herkommen. Wir sind Kleinstadtkids, die was Großes erleben wollten und ein Moped verbindet man ja eher mit einer Jugend auf dem Land. Vielleicht haben wir uns auch so genannt, weil wir diesen Hype des Urbanen nicht mitmachen wollen. Selbst wenn wir alle nach Berlin ziehen sollten, würden wir nicht auf Städter machen. Wir wollen das Ländliche also auch ein wenig feiern.“ Ein schöner Abschlusssatz – den man aber nur mit einer Ergänzung so stehen lassen kann: Das gilt nur für ihren Namen, ihr cleverer, ehrlicher, äh, echter, deutschsprachiger Indie-Pop klingt nämlich eher universell als provinziell.
       
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  • Mighty Oaks - All Things Go
    • Mighty Oaks - All Things Go
    • Mighty Oaks – All Things Go (Album)

      V.Ö.: 07.02.2020

      Alles auf neu, alles auf los: Mit ALL THINGS GO, ihrem mittlerweile dritten Album, betreten Mighty Oaks ein neues Kapitel ihrer Bandgeschichte. Nach zehn Jahren und zahllosen Auftritten, zwei Al- ben und vier EPs ändert sich alles und gleichzeitig: nichts. Denn es sind immer noch Ian Hooper, Claudio Donzelli und Craig Saunders, es sind immer noch ihre Geschichten, ihre Songs, und ihre Freundschaft, die das Herz von Mighty Oaks ausmachen. Drei Männer, die mit dieser Band er- wachsen geworden sind, seit sie vor zehn Jahren erstmals in ihrem Berliner Wohnzimmer ein paar Songs aufnahmen.

      Was also ist neu? “Wir haben uns über alle Einschränkungen hinweggesetzt, die wir uns in den letzten Jahren selbst gesetzt haben”, erzählt Ian, “mit dem Begriff ‘handgemachter Folk’ hatten wir uns selbst ein unsichtbares Regelwerk aufgesetzt. Jetzt haben wir uns endlich erlaubt, es zu bre- chen.” Ein Prozess, der natürlich nicht von ungefähr kam. “Wir haben angefangen an unserem neuen Material zu arbeiten, wie wir es auch zu vor immer getan haben”, sagt Craig. Aber es wollte nicht so richtig funktionieren. Anderthalb Jahre, zwischen Tour-Terminen und Schreibpausen, ar- beiteten sie immer wieder am neuen Album, bis sie merkten: es geht so nicht. Es braucht Verände- rung. Auch wenn’s wehtut. Auch das Verhältnis der Band zueinander blieb nicht schadlos, denn die Unzufriedenheit mit dem neuen Material, wie auch die Unsicherheit, wie es denn weitergehen soll, belastete jeden einzelnen.

      In der Zwischenzeit hatte Ian angefangen mit dem Berliner Produzenten Nikolai Potthoff Songs zu schreiben – und die Zusammenarbeit funktionierte gut. Sehr gut sogar. So gut, dass es plötzlich nur knapp zwei Monate dauerte, das Album aufzunehmen. “Nikolai hat fast die Rolle eines vierten Bandmitglieds eingenommen”, meint Ian, “wir sind ja selbst keine Produzenten, wir haben nur irre viele Ideen im Kopf – und er ließ unserer Kreativität freien Raum, ohne uns mit Deadlines einzu- schränken.” Der einzige rote Faden, die einzige Konstanz waren nur sie selbst. “Es sind immer noch wir! Wir hatten schon immer diese Pop-Seite an uns, jetzt umarmen wir sie eben”, sagt Clau- dio lachend.

      Das Ergebnis? Immer noch eindeutig Mighty Oaks. Aber anders. “Wir wollten nicht mehr an unse- ren typischen Instrumenten kleben”, so Claudio, und Ian ergänzt: “...und nicht an einem genrespe- zifischen Sound. Wir haben Dinge ausprobiert, die vielleicht unbequem waren – aber wir waren offen, uns anzupassen und zu verändern. Vielleicht sind wir nicht, wer wir dachten, das wir seien.” Und genauso eklektisch waren auch die Aufnahmen: KIDS ist ein klassisches Singer-Songwriter- Stück, aufgenommen als One-Take, nah am Demo – einer iPhone-Aufnahme. WHAT YOU GOT dagegen ist ein richtiger Popsong geraten, ein großartiges Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man sich Freiraum lässt. “‘What You Got‘ war so etwas wie der Schlüsselsong für uns, als es dar- um ging unsere eigenen Grenzen zu verschieben”, sagt Ian, “er war einer der letzten, die wir auf- nahmen. Wenn man immer nur macht, was man schon immer gemacht hat, dann kriegt man eben auch nur raus, was man schon immer hatte.”

      “Sowohl im Sound als auch in den Lyrics gibt es eine Spannung zwischen intimen Momenten und denen, wo wir uns öffnen und das Leben feiern”, meint Claudio, “das hat auch damit zutun, dass wir Väter geworden sind – es ist nicht mehr das eine oder das andere, es gehört beides zum Le-

      ben.” Und so geht es auf dem Album um den Zustand der Welt, die Zukunft ihrer Kinder, um Le- ben, Liebe, um Tod und um’s Abschiednehmen. Die ganz großen Themen also. Aber nah, offen und persönlich. Zum Beispiel auf I NEED YOU NOW, einem Song, der seinen Anfang als Klavier- ballade nahm und sich im Laufe der Aufnahmen in etwas größeres entwickelte. “Ich schrieb den Song eines Morgens, bevor mein Kind wach war. Während ich am Klavier saß, dachte ich daran, dass ich jetzt den Rat meiner Mutter gut gebrauchen könnte”, erzählt Ian, “Es geht darum, dass man oft, wenn man Menschen um sich herum am meisten braucht, sich einschließt und auch dar- um, wie wichtig mir meine Bandkollegen sind.” Genau die gegenteilige Route nahm AILEEN, der ähnlich wie die Vorabsingle ALL THINGS GO vom Abschied nehmen handelt: “Es hat zwar Spaß gemacht ihn zu spielen, aber war einfach nicht gut genug – bis ich mir einfach meine Akustikgitarre wieder schnappte.”

      Mit all seinen verschiedenen Facetten und seiner schieren Bandbreite an Emotionen und Sounds ist ALL THINGS GO auf jeden Fall mindestens das vielfältigste Album ihrer Karriere. Ian ist sich sicher: “Es ist das beste, was wir jemals aufgenommen haben!” Mighty Oaks haben sich freige- spielt. Von ihren eigenen Erwartungen, von Ansprüchen, von Regeln. Oder um es in ihren eigenen Worten zu sagen: “Warum sollten wir uns mit einer Schublade begnügen, wenn wir den ganzen Schrank haben können?”
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  • Seeed - BAM BAM
    • Seeed - BAM BAM
    • SEEED

      BAM BAM

      VÖ: 04.10.2019

      Seeed haben ein neues Album gemacht.
      Es ist das erste dieser ganz und gar einzigartigen Band seit 2012 – das Ende einer Ära und ein mächtiges Statement für die Kraft des Neuanfangs.

      Es ist ein bisschen wie die Mondlandung oder das Wunder von Bern: Wo warst du, als du zum ersten Mal Seeed gehört hast? Das Vibrieren der Bassline in deinem Bauch, der Gegenwind der Bläser in deinem Gesicht, der Beat direkt in deinem Herzen. Seeed ist eine Erfahrung. Und eine Band, die es nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit gar nicht geben dürfte.

      Um Seeed wirklich zu verstehen, muss man sich noch einmal ihre Geschichte vergegenwärtigen. Ende der Neunziger Jahre finden elf Musiker in Berlin zusammen, um gemeinsam live zu spielen, als Band-Kollektiv und Partyeinsatzkommando ohne doppelten Boden. Es gibt keine Blaupause, keinen Masterplan, keinen Star, keinen Hit. Da ist nur die Mucke und der Moment und eine lose Idee, inspiriert eher von Marching Bands in New Orleans und Soundsystems in Kingston als von irgendwelchen Konzepten, die in den Planspielen der deutschen Musikverwertungsindustrie eine Rolle spielten.

      Mit Ansage den Regeln trotzen steckt also tief in ihrer DNA, wie bei so vielen erfolgreichen

      Künstlern. Und mehr noch: Seeed haben sich in all den Jahren eine Welt geschaffen, in der

      ausschließlich ihre eigenen Regeln zählen. 2020 werden sie alleine in ihrer Heimatstadt sieben

      ausverkaufte Konzerte spielen. Nicht irgendwo, sondern in der Wuhlheide und der Waldbühne,

      den legendären Freiluftarenen im Osten und im Westen einer ausnahmsweise tatsächlich

      geeinten Stadt. Das macht knapp 150.000 Zuschauer – one amtliche deutsche Großstadt under

      a groove. Bam Bam? Kann man wohl so stehen lassen.

      Seeed selbst sind solche Zahlen und ähnliche Pimmelvergleiche fremd. Ihre Gesten waren stets so klein wie ihre Bühnen gigantisch. Aber die Zahlen helfen, um die Bedeutung dieser Band zu begreifen. Im Land der Trash-Ikonen und gefallenen Helden haben Seeed es ganz nach oben geschafft, mit Positivität und gelebter Weltoffenheit. Wie wichtig das gerade heute wieder ist, muss man nicht eigens erwähnen. Seeed würden das nie so sagen, aber sie haben dieses Land auch ein wenig mitgenommen auf ihrem Marsch durch die Institutionen. Sie haben es verändert, mehr als jede Fanmeile das je könnte.

      Sieben Jahre sind seit dem letzten Studioalbum “Seeed” vergangen. Das ist eine lange Zeit,

      nicht nur nach den Maßstäben des Instagram-Story-Zeitalters. Seitdem wurde beispielsweise

      Fortnite erfunden, Annegret Kramp-Karrenbauer und die seltsame Angewohnheit junger

      Menschen, vor Läden zu kampieren, um dort Sportschuhe zu kaufen. Dancehall – die

      Soundästhetik, die Seeed einst in Deutschland salonfähig machten – ist zu einem Standard im

      globalen Streaming-Pop geworden. Und Deutschrap, damals gerade erholt von einer schweren

      Krise, ist zum gefühlten Alleinherrscher über die Charts und Festivals aufgestiegen. Seeed haben

      dieses Genre immer auf Armlänge gehalten. Und doch haben sie es maßgeblich beeinflusst mit

      ihrer pointierten, von allen Klischees befreiten Art zu texten, mit ihrer Selbstverständlichkeit, das

      Deutsche mit allen möglichen Sprachen und Sounds zu vermischen, es so zu formen, dass es

      rund klingt und sogar auf der Tanzfläche Spaß macht. Popmusik aus D in ihrer heutigen Form:

      nie ohne dieses Team.

      Wie also crasht man mit einem neuen Album die Party seiner Kinder? Seeed haben sich für den

      konsequenten, ja, den einzigen für sie denkbaren Weg entschlossen: Sie haben sich geöffnet

      und erneuert, um sich selbst treu zu bleiben. “BAM BAM” ist das erste Seeed-Album, das

      konsequent in deutscher Sprache geschrieben und performt wurde. Die Idee der Inklusion, die

      von Anfang an angelegt war im Seeed-Konstrukt, wird dabei radikaler gelebt als je zuvor. Nicht

      nur brachten mehr Mitglieder als je zuvor ihre Skizzen, Referenzen, Demos ein. Auch weitere

      Künstler aus dem erweiterten Familienkreis wurden an verschiedenen Stellen des Prozesses mit

      eingebunden. Es gab Jam- und Flashcamps mit befreundeten Songwritern wie Trettmann, Sway

      Clarke, Deichkind oder Daniel Stoyanov von der Band Malky. Die Songs wurden in enger

      Zusammenarbeit mit dem Produzententeam The Krauts (u.a. Peter Fox, Miss Platnum, Marteria)

      ausgearbeitet. Deren Mitglied Monk – ein berüchtigter Verdichter und Verbesserer mit eiserner

      Hand am Rotstift – beteiligte sich auch an den Texten. Zudem finden sich auf der Platte

      Gastauftritte von Seelenverwandten wie Nura oder Trettmann. Der Sound ist Seeed, klar: urbane,

      voluminöse, weltgewandte Popmusik mit Berliner Attitüde und Einflüssen von London bis Lagos.[page3image62786560]Vor allem aber ist er 2019. “BAM BAM” klingt nach Aufbruch, nach Aufsteh’n, Rausgeh’n, die[page3image62785984]Welt ein bisschen bunter und besser machen.

      Die erste Single “Ticket” swingt zwischen Afrobeats und, äh, Dreampop, mit dieser speziellen

      Mischung aus leiser Melancholie und bedingungsloser Lebensbejahung, die Seeed über die

      Jahre perfektioniert haben. “G€LD” basiert auf einer Neuinterpretation des Jahrhundert-Riddims

      “Diwali” – eine Reminiszenz an die Wurzeln der Band in der Berliner Dancehall-Szene der

      neunziger und nuller Jahre. Die Feierhymne “Love & Courvoisier” dagegen kommt mit

      meisterhaft hingerotzten Trap-Adlibs und der Wucht von Grime. Bam Bam. “Immer bei dir”

      schließlich ist die längst überfällige Zusammenkunft mit Trettmann, Seeeds gefühltem Statthalter

      im Autotune-La-La-Land der Jetztzeit. Drei einzigartige Stimmen auf einem in jeder Hinsicht

      einzigartigen Song: Die Bausteine sind formell Dancehall-Reggae, in ihrer Gesamtheit aber

      ergeben sie eher ihr eigenes Genre – und einen klugen, klaglosen Kommentar zur Hektik-Mektik

      unserer Zeit noch dazu. Peter Fox meint es zwar anders in diesem Fall, aber fasst es doch perfekt

      zusammen: “Alles fresh, alles neu, big pimpin’!”

      Auch “Lass sie gehn”, die zweite Single aus dem Album, ist nur vordergründig ein

      Trennungssong. In seinem Kern ist er ein Liebeslied für den Neuanfang. Wer will, kann die

      gesamte Platte so hören. Nach dem schmerzhaften Verlust Demba Nabés im Mai 2018 ist “BAM

      BAM“ das erste Album seit 2000, bei dem eines der elf Gründungsmitglieder fehlt. (Selbst DJ

      Illvibe, der die Band in Sachen Live-Aktivitäten 2004 verließ und von DJ Luke perfekt ersetzt

      wurde, war als Mitglied der Krauts auch danach immer am Produktionsprozess beteiligt.) So

      ganz immerhin fehlt er doch nicht: Ganz am Ende steht ein Song, den Demba lange vor seinem

      Tod in Englisch aufgenommen hat. Seeed haben ihn, praktisch unverändert, auf das Album

      genommen. Es ist eine Verneigung vor einem Freund und Freigeist, ohne den diese Band nicht

      wäre, was sie ist. Und es ist eine Verneigung vor der Macht der Musik, die nie endet. Nicht,

      solange es Liebe gibt und Menschen, die sie in ihren Herzen durch die Welt tragen.

      Davide Bortot
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  • Rikas - Showtime
    • Rikas - Showtime
    • Ist das Leben ein Fingerschnippen? So knackig, so leicht, so unbeschwert? Wer die Musik von Rikas hört, wird nichts anderes mehr glauben wollen. Ihre Songs machen einen Abend ohne Plan, einen Film ohne Plot im Handumdrehen zu etwas Unvergesslichem. Melodien wie Stevie Wonder, der Pop-Drive von Phoenix, die Selbstironie eines Jarvis Cocker. Dazu so viel Souveränität, dass man sich fragt, woher, zum Teufel, haben die Jungs die – noch vor ihrem Debütalbum?

      Genau genommen: aus Stuttgart. Rikas gründeten sich dort im Jahr 2016. Ferdinand trommelt, Sam spielt Bass, Chris die Gitarre, Sascha Gitarre und Keyboard. Jeder hat seine spezielle Superpower, aber keiner steht allein im Rampenlicht. Alle schreiben gemeinsam an den Songs. Alle singen, am liebsten in hymnischen Chören. Viel Spaß beim Ausknobeln, wer den unwiderstehlichsten Schmelz in der Stimme und den größten Schalk im Nacken hat!

      Musik machen die vier Goldkehlchen und Herzensbrecher schon immer. Sie kennen sich seit Kindertagen, spielten mit 13, 14 Jahren zusammen in der Schulband und danach auf den Straßen ihrer Heimatstadt. Nach dem Abi ging es auf Wanderschaft: zwei Sommer lang kreuz und quer durch Europa. Zürich, Mailand, Nizza, London, Paris. Mit Songs von Roy Orbison, Tom Petty und den Beatles im Gepäck und einem Schild auf dem Gitarrenkoffer: „Schlafplatz gesucht!“ Eine beflügelnde Erfahrung für die Band. Ihre Musik kam direkt an, die Reaktionen noch dringlicher zurück. Das Leuchten in den Augen der Menschen vor ihnen, das Zucken in den Beinen... Seither sind sie süchtig danach.

      Entertainment wird bei Rikas groß geschrieben. Sombreros? Matrosenkostüme? Boyband-Choreografien? Klar doch! Die vier sind offen für alles, was Spaß macht. Und sie wissen, wie schmal der Grat zwischen Coolness und Lächerlichkeit ist. Aber genau darum geht es: um den Tanz auf Messers Schneide, so formvollendet und stilvoll wie möglich, am besten mit Salto und Pirouette. „Swabian Samba“ nennen Rikas das. Nach diesem unerhörten schwäbischen Frohsinn benannten sie auch ihre erste EP.

      Rikas haben jetzt schon mehr erreicht als in ihren wildesten Jungsträumen. Einen ihrer allerersten Gigs spielten sie gemeinsam mit Bilderbuch aus Wien, wenig später mit The Lemon Twigs aus New York. Sie standen mit ihrem Hit „Tortellini Tuesday“ beim Southside Festival auf der Bühne und bei einer Cooking Club Session in der Küche. Und es geht erst richtig los. Nach dem Erfolg der EP machten sie sich für ihr erstes Album auf nach Spanien. In einem kleinen Wohn-Studio spielten sie „Showtime“ ein, keine 08/15-Partyplatte, sondern Stoff für endlose Ferienabenteuer mit allem, was dazugehört: Wolkenbrüche, Schulterschmerzen, vermasselte Flirts und Eiskremeflecken auf den Shorts.

      Derart lässigen Soul-Pop hat man aus Deutschland lange nicht gehört. Dabei könnten Rikas auch Jazz machen. Hinter Songwriting und Arrangements, in ihrer Performance an den Instrumenten und auf der Bühne steckt eine unglaubliche Virtuosität. Und doch lassen sie nie die Mucker raushängen.

      Das Schwierige leicht klingen lassen. Im Schatten das Licht sehen. Das Bittersüße so verpacken, dass man jede Pille voll Freude runterschluckt. Das kriegen die wenigsten hin. Wenn es dann noch klingt, wie eben aus dem Jackett geschüttelt, dann hat man es mit einer kleinen Sensation zu tun. Vielleicht sogar mit einer ziemlich großen. Jawohl, hier ist sie: Vorhang auf für Rikas!
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  • Deichkind - Wer Sagt Denn Das?
    • Deichkind - Wer Sagt Denn Das?
    • Wir wollten das Projekt gegen die Wand fahren, aber die Wand war nicht stabil genug. - Deichkind

      Am äußersten Rand von Hamburg gründen die Rapper Malte Pittner, Philipp „Kryptik Joe“ Grütering und Bartosch „Buddy“ Jeznach 1997 die Band Deichkind. Bereits kurze Zeit später unterschreiben sie ihren ersten Plattenvertrag, denn deutschsprachiger Rap ist zu dieser Zeit so gefragt wie nie. Während der Arbeiten an ihrem Debütalbum nehmen sie ihren Produzenten Sebastian Hackert als festes Mitglied in die Band auf und für die Live-Auftritte engagieren sie außerdem DJ Phono (bürgl. Henning Besser), der schon damals durch ungewöhnliche Showelemente auffällt. Mit den Alben Bitte ziehen Sie durch (2000) und Noch fünf Minuten Mutti (2002) feiert die Gruppe zwar kleinere Erfolge in den Charts, aber sowohl im Mainstream als auch in Szenekreisen kommen sie über eine Außenseiterrolle nicht hinaus.

      Das Album Aufstand im Schlaraffenland (2006) entsteht aus einer Antihaltung heraus und aus dem heimlichen Wunsch zu scheitern. Die Band ist pleite, die Stimmung ist schlecht und die Platte wird überhaupt nur fertiggestellt, weil es laut Vertrag noch einen Vorschuss bei der Plattenfirma abzugreifen gibt. Malte Pittner hat das Projekt zu diesem Zeitpunkt aufgrund privater Differenzen bereits verlassen. Der Rest der Truppe plant die Band in einem letzten großen Exzess aufzulösen.

      Musikalisch grenzen sie sich von ihren HipHop-Kollegen ab und erfinden ein eigenes Genre zwischen Ballermann Techno und Parolengesang. Sie nennen es schlicht und einfach Tech-Rap. Auch der Stil der Konzerte ändert sich drastisch. Den Anstoß dazu bringt ein Auftritt, den alle in der Band für ihren letzten halten. Als sie hinter der Bühne zufällig eine Rolle Müllsäcke finden, entschließen sie sich kurzerhand daraus Fuck-Off-Bühnenoutfits zu machen. Sie schneiden Löcher für Arme und Kopf hinein und stülpen sich die Säcke über. Aus den Resten machen sie sich Masken, Gürtel und Stirnbänder. Das Publikum bleibt an diesem Abend etwas verstört zurück. Die Band hingegen fühlt sich ungewohnt frei.

      Die darauffolgende Tour dauert zwei Jahre. Ohne Müllsack-Verkleidung wird kein Auftritt mehr absolviert. Zusätzlich zu den Müllsäcken gehören nun auch Tetraeder-förmige Helme aus Pappe zum neuen Look der Band. Triste Künstlergarderoben und der Mangel an Perspektive veranlasst Deichkind dazu alle Ausschweifungen auf die Bühne zu verlagern. Der eigene Untergang wird öffentlich ausgelebt und zwar mit einer Energie, die Band und Fans gleichermaßen wie die Motten ans Licht zieht.

      Anfänglich sind die Showeffekte noch denkbar einfach und passen in eine einzige rote Metallkiste aus dem Baumarkt. Jedweder Konsumschrott wird angeeignet und verwertet. So kann es zum Beispiel passieren, dass einer mit einem Telefon auf seinem Kopf oder ein anderer mit einer Topfpflanze um den Bauch gebunden die Bühne betritt. Bald finden auch Sprungfedern, Trampoline, Fitnessgeräte oder ganze Hüpfburgen Platz in der Inszenierung. Man feiert eine Art Kindergeburtstag für Erwachsene.

      Die Verschleierung der eigenen Identität erfüllt dabei gleich mehrere Zwecke. Zum einen entsteht für die Zuschauer eine Projektionsfläche jenseits von Persönlichkeiten und Starkult. Zum anderen haben die Verkleidungen und Masken eine befreiende Wirkung. Hemmungen lösen sich und alles Unangenehme kann ausgehalten und in Schubkraft umgewandelt werden.

      Aufgrund der schlechten körperlichen Kondition der Bandmitglieder und dem spärlichen neuen Repertoire dauern die Konzerte zunächst höchstens 40 Minuten. Die Schockstarre des Publikums hält dabei in der Regel bis zur Hälfte des Konzerts an und verflüssigt sich in den letzten 20 Minuten in einen Zustand kollektiver Ekstase.

      Für die Band besteht der Arbeitsalltag aus dem ständigen Erforschen der eigenen Grenzen. Jeden Abend ein bisschen doller, jeden Abend ein bisschen nackter. Es ist ein einziges selbstzerstörerisches Freidrehen, bei dem die Performer am Ende oft nur noch in Unterhosen auf der Bühne stehen, mit Müllsack-Resten, die ihnen wie Hautfetzen von den verschwitzten Gliedern herunterhängen. An den darauffolgenden Morgen lecken sie sich im VW Bus ihre Wunden. Die Fahrt ins nächste Kaff wird zur Gruppentherapie-Sitzung.

      An die 200 Konzerte pro Jahr ist die Bilanz und bald kennen die Bandmitglieder jeden Autobahnkilometer im deutschsprachigen Raum. Irgendwo am Straßenrand lesen sie den Bassisten Sebastian „Porky“ Dürre auf, einen alten Schulfreund, dem man das Angebot macht, er könne die Band begleiten, solange er unter seinem Müllsack keine Unterhose trägt. Porky, der bei zahlreichen Gesichts-Mucker-Jobs in der Schlagerindustrie schon so einiges durchgemacht hat, willigt ein. Er wird fortan, als sogenannter Performance-Sklave, in die hinterste Bühnenecke auf ein Trampolin gestellt, ohne Kabel für seinen Bass.

      Mit der Zitze entsteht ein erstes eigenes Bühnenelement, eine Art überdimensionale Zapfanlage aus Pappmaché, Maschendraht und Holz. Die Bandmitglieder bauen dieses Gerät in Eigenregie. Über logistische Probleme wie Brandschutzgesetze oder Transportbedingungen schert sich keiner von ihnen. In der Folge kriegen sie das riesige Ding zunächst nicht einmal durch die Tür des Lagerraums, in dem sie es gebaut haben, nur um dann festzustellen, dass es auch nicht in den Kleinbus passt, mit dem sie unterwegs sind. Diese Fehler entpuppen sich als entscheidende Schritte in der Professionalisierung einer Do-It-Yourself-Mentalität, die zu einem enorm wichtigen Bestandteil ihrer künstlerischen Identität wird.

      Bald muss für jede Show ein Sofa vom Veranstalter gestellt werden, das am Ende des Konzerts gemeinsam mit dem Publikum kurz- und kleingehauen wird. Vorher werden die Zuschauer über das selbstgebaute Schlauchsystem der Zitze rituell mit hochprozentigem Alkohol versorgt. Was bei all dem Trubel beinahe untergeht ist die Tatsache, dass der Titel Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah) allmählich zum größten Hit der Band avanciert. Die Textzeile „Deine Eltern sind auf einem Tennisturnier“, die den Song eröffnet, fängt den Zeitgeist einer ganzen Generation von feierwütigen Jugendlichen ein und tönt bald regelmäßig und lautstark aus den Boxen der Studenten-Partys und Abi-Bällen des Landes.

      Auch die Zahl der Konzertbesucher steigt von Woche zu Woche stetig an, was zu einem breiten Spektrum an neuen Fans führt. Die Band scheitert nun immer klarer an dem Versuch das Scheitern in Gänze auszukosten. Die Konzerte werden zu Happenings, die Rapper zu Performern, und sogar das Feuilleton nimmt neuerdings Notiz von Deichkind. Während sich Kritiker bisher nicht einmal die Mühe gemacht hatten, mit Tomaten nach der Gruppe zu werfen, titulieren sie sie nun als „Gesamtkunstwerk“ oder „Phänomen der Gegenwart“. Es entsteht ein Widerspruch, der die Wahrnehmung von Deichkind in der Öffentlichkeit entscheidend prägt; eine Schere, die in den darauffolgenden Jahren immer weiter aufgeht. Es ist der Widerspruch zwischen sinnloser Spaßkultur und gesellschaftskritischer Kunstperformance, den Deichkind wie keine andere Band in sich vereint.

      Auch intern spalten sich die Bandmitglieder in zwei Lager, die Dinkels und die Kapitalos. Während sich die einen mit Kunstbegriffen wie Dadaismus, Fluxus oder Ready-Made auseinandersetzen und ihre Brötchen beim Bio-Bäcker kaufen, wollen die anderen in PS-starken Schlitten auf Tour fahren, veranstalten an der Raststätte McDonalds-Wettessen und denken darüber nach, wie sie in Zukunft möglichst viele Platten mit Saufschlagern verkaufen können. Die Ambivalenz innerhalb der Band wird zu ihrer größten Probe und gleichzeitig zu ihrer größten Stärke. Sie diskutieren ihre unterschiedlichen Ansichten öffentlich in Interviews und kritisieren sich dabei gegenseitig scharf. Einig sind sich in einem Punkt aber alle, egal, ob dem einen die Musik nicht passt oder einem anderen die Outfits peinlich sind, in keiner anderen Band wären sie lieber.

      Die exzessive Phase von Aufstand im Schlaraffenland beginnt immer gefährlichere Ausmaße anzunehmen. Bei einem Konzert im Hamburger Schauspielhaus kommt es zu mehreren verletzten Bühnenperformern und zu diversen groben Verstößen gegen die Hausordnung des Theaters, was zu einem lebenslangen Hausverbot führt. Zum Höhepunkt kommt das Ganze schließlich beim Melt Festival. Die Grenze zwischen Band und Fans verschwimmt hier beinahe gänzlich, als hunderte Zuschauer bei der Zugabe, angestachelt von der Band, die Bühne stürmen. Die Bühne sackt ab und droht unter der Traglast zusammenzubrechen. ZuschauerInnen und Musiker kommen mit dem Schrecken davon. Deichkind erhalten vorläufiges Auftrittsverbot und müssen am selben Abend bei der Abreise noch feststellen, dass obendrein ihr gesamtes Equipment gestohlen wurde. Die restlichen Konzerttermine müssen ohne den angesammelten Kindergeburtstag abgehandelt werden. In der Band kommen erste Zweifel an den Perspektiven des selbst auferlegten höher-schneller-weiter Prinzips auf und man beginnt über eine Neuorientierung nachzudenken. Kurze Zeit später gibt Gründungsmitglied Buddy seinen Ausstieg bei Deichkind bekannt. Er kann und will nicht mehr.

      Ende 2008 veröffentlichen Deichkind ein neues Album mit dem Titel Arbeit Nervt. Neben Philipp Grütering agiert Bassist Porky hier zum ersten Mal als Vollzeit-Rapper und maßgeblicher Co-Autor der Songs. Er sieht sich vom Schicksal in die erste Reihe geprügelt und stellt sich der ungewohnten Aufgabe, wie ein erschrockenes Reh im Scheinwerferlicht. In den Texten bedienen sich Philipp und Porky des Vokabulars der Leistungs-Verweigerer und Druffis und perfektionieren so das Spiel mit den Albernheiten, im Dienste einer höheren Wahrheit.

      Es kommt zu weiteren personellen Veränderungen. Aussteiger Buddy wird durch Ferris Hilton ersetzt und die frisch angeheuerten Roadies werden kurzerhand in Müllsack-Kostüme gesteckt und als Tänzer eingespannt, das spart Platz im Tourbus. Erste Anzeichen von Unternehmensstrukturen bahnen sich an. Philipp und Sebi leiten die Abteilung Musikproduktion und kümmern sich weitgehend um alles Geschäftliche. DJ Phono wird umgetauft in La Perla und hechtet als Actionboy über die Bühne. Zusätzlich ernennt man ihn zum Regisseur der Live-Auftritte und Bauleiter der Kulissen. Der anarchische Charakter der Konzerte wird jetzt nicht mehr wahllos und aus dem Rausch heraus improvisiert, sondern bewusst in Szene gesetzt. Die Inszenierung ähnelt einem Theaterstück, mit Bühnenbild, Dramaturgie und Kostümwechseln. Zusammen mit einem befreundeten Ingenieur wird eine neue Zitze entwickelt. Das futuristisch anmutende Gebilde, eine Mischung aus UFO und Showtreppe mit zwölfseitiger Aufbauanleitung, wird zentraler Bestandteil der neuen T ournee-Kulisse. Die T etraeder-Helme, inzwischen Markenzeichen von Deichkind, werden mit funkgesteuerten LEDs ausgestattet. Außerdem kommen Bungee-Seile und Schlauchboote zum Einsatz, in denen sich die Performer über die Menge tragen lassen. Ein Transportunternehmen muss beauftragt werden, damit das Equipment an die Spielorte gelangt. Die rote Kiste, in der einst die gesamte Ausstattung befördert wurde, ist jetzt nur noch aus nostalgischen Gründen Teil der Ladung.

      Im Frühjahr 2009, als der erste Abschnitt der Arbeit Nervt-Tournee erfolgreich abgeschlossen ist und die Verkaufszahlen eines Deichkind Albums zum ersten Mal mehr als ansehnlich sind, kommt es zu einem Schicksalsschlag, der die Band in ihrem Fundament erschüttert. Produzent Sebastian Hackert, von den Bandkollegen „Papa“ genannt, stirbt im Alter von nur 32 Jahren völlig unerwartet in seiner Hamburger Wohnung. Er hinterlässt eine enorme, nicht zu schließende Lücke. Die übrigen Bandmitglieder lassen zunächst offen, ob die Band ohne ihn bestehen bleiben kann.

      Drei Jahre später, im Februar 2012, kehren sie zurück, um endgültig den Mainstream zu erobern. Das Album Befehl von ganz unten (2012) schafft es auf Platz 2 der deutschen Charts und erreicht Platinstatus. Die Singleauskopplungen Bück Dich Hoch und Leider Geil werden zudem mit Gold ausgezeichnet, wobei sich Letztere dermaßen in den Medien verbreitet, dass der Slogan Leider Geil in den allgemeinen Sprachgebrauch der Deutschen, Österreicher und Schweizer übergeht. Das nachfolgende Album Niveau Weshalb Warum (2015), das erstmals auf dem selbstgegründeten Plattenlabel Sultan Günther Music erscheint, toppt den Erfolg des Vorgängers sogar noch und wird Deichkinds erstes Nummer- 1-Album.

      Die Band nutzt ihren Erfolg, um sie sich immer wieder öffentlichkeitswirksam in unterschiedliche Debatten einzuschalten. Sie thematisieren in ihren Songs zum Beispiel den Streit um das Urheberrecht im digitalen Raum und veröffentlichen dazu Musikvideos, die aus ungeklärten YouTube Videos montiert sind. Sie geben ein deutliches Statement zur Flüchtlingspolitik ab, in dem sie auf der ECHO-Preisverleihung mit „Refugees Welcome“-Jogginganzügen auftreten, die sie später zugunsten der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL versteigern.

      Die Tourneen führen jetzt durch die großen Multifunktionsarenen des Landes. Bis zu 17.000 ZuschauerInnen bestaunen dort jeden Abend ein Spektakel, das seinesgleichen sucht. Auf der Bühne fahren meterhohe Roboter-Säulen, sogenannte Omnipods, zentimetergenaue Formationen. Jeder Song erhält auf diese Weise ein eigenes Bühnenbild. Gebaut und entworfen wurde das alles von der hauseigenen Forschungsabteilung, auch ein Patent wurde angemeldet. Die Punk-Attitüde der Anfangsjahre wird in ein Antiboyband-Konzept umgewandelt, mitsamt Tanzchoreografien und strikt durchgeplanten Abläufen. Ein überdimensionales Fass rollt durch die Menge, eine Sonnenbank wird zur Disko-Bahre umfunktioniert und die Müllsack-Kostüme weichen maßgeschneiderten, monochromen Designer-Outfits. Als Gegenentwurf zu Lady Gagas Fleischkleid entsteht außerdem ein Smoking, der mit Mobiltelefonen besetzt ist.

      Oktober 2018: Rampensau Nr.1, Bronchus Pilatus, a.k.a Ferris Hilton verlässt die Band, um fortan auf eigenen Meeren zu segeln.
      Die übrigen Männer haben noch lange nicht genug. Die ersten Beats für das neue Album klötern schon aus ihren Laptops und ein ganzer Stab fähiger Mitarbeiter recherchiert bereits, wieviele Trucks es überhaupt in Deutschland gibt, damit auch die neue Show sicher zum nächsten Konzert verfrachtet werden kann.

      Heute versteht sich Deichkind als gewinnorientiertes Unterhaltungsunternehmen, das unter Verwendung verschiedener künstlerischer Strategien am Austausch über die bestehenden Verhältnisse teilnimmt.

      Text: Auge Altona Stand: 12.02.2019
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  • Wallis Bird - Woman
    • Wallis Bird - Woman
    •   Wallis Bird – WOMAN  
       
      VÖ: 27.09.2019 / Label: Mount Silver Records - Caroline International 
       
      Am Anfang ist die Wut. Was im Falle von Wallis Birds neuem Album durchaus wörtlich gemeint ist. Denn „WOMAN“ ist zwar eine erhebende, erhabene, ergreifende Platte voller Liebe, Seele und Empathie – aber bis dahin war es ein weiter Weg und ein stetiger Kampf, den die irische Songwriterin erst für sich entscheiden musste. „In den letzten Jahren wurde ich, wurden wir alle, permanent mit schrecklichen Nachrichten befeuert“, erzählt Wallis. „Überall Ungerechtigkeit, Konflikte, die wieder aufbrechen, Rechte, die immer lauter pöbeln und ein Maß an Umweltverschmutzung und fehlendem Respekt vor unserem Planeten, der mich schwindelig und wütend macht. Ich musste mich einfach damit auseinandersetzen. Wenn ich mich schon auf die Bühne stelle und etwas singe, dann sollte es etwas sein, das sich dieser Probleme bewusst ist und vielleicht sogar etwas anbietet, das uns weiterhilft. Und bei mir ist das eben der Fokus auf Empathie, Hoffnung und die Kraft der Liebe.“ Genau das musikalisch zu vermitteln, entbehrt nicht einer gewissen Fallhöhe, derer sich auch Wallis auf charmante Weise bewusst ist. Wenn sie über die Gefühle, die „WOMAN“ durchziehen, spricht, lacht sie oft laut auf, schüttelt den Kopf und sagt: „Oh Gott, ich klinge wie eine Hippie-Braut!“ Dass sie das aber eben nicht tut, sondern wie eine Kämpferin klingt, ist ihrer Stimme und ihrem Gitarrenspiel ebenso zu verdanken wie ihrer Hinwendung zum Soul, die vor allem in Stücken wie „Love Respect Peace“, „Woman Oh Woman“ und „Grace“ ihre volle Kraft entfaltet. „Soul-Musik war immer schon ein Vehikel für Liebe und dem Wunsch nach Veränderung. Donny Hathaway, Reverend Al Green oder Roberta Flack haben in schweren Zeiten Musik geschaffen, die im Herzen positiv war, die sagte: ‚Ja, vieles ist Mist, aber lasst uns das ändern!‘ Ich bin mit diesen Liedern aufgewachsen und habe sie in letzter Zeit für mich wiederentdeckt. Weil sie mir Kraft gaben, wenn mich die Nachrichten mal wieder traurig und aggressiv gemacht haben.“ Es war diese Erkenntnis, die Wallis mit in den sehr introvertierten Arbeitsprozess nahm. Wie so oft spielte sie fast alle Instrumente selbst ein, zog sich mit ihrem Vertrauten – dem Produzenten Marcus Wuest, der schon die letzten fünf Alben begleitete – ins Studio zurück. War ihr Vorgängeralbum „Home“ bisweilen geradezu schmerzhaft intim, suchte sie nun nach einem Sound, der die Leute in Bewegung versetzen kann. „Denn es ist eine Zeit der Bewegungen. Wenn man sich von dem negativen Blick löst, sieht man, dass jede unerfreuliche Entwicklung, viele bunte, diverse leidenschaftliche Movements hervorbringt, die sich dem entgegenstellen.“ 
       
      Es kommt nicht von ungefähr, dass Wallis Bird gerade jetzt diese erstaunliche Wucht entwickelt. Denn sie tut es aus einer starken Position heraus, an einem Punkt ihrer Karriere, der von Zusammenhalt und Liebe im Privaten wie im Beruflichen geprägt ist. Nachdem die ersten zwei Alben noch auf einem großen Label erschienen, ist sie seit dem Dritten in Eigenregie unterwegs und erspielte sich ihr Standing auch und vor allem durch mittlerweile über 800 Shows in neun Jahren – auf Touren, die sie durch Australien, Neuseeland, Japan, Kanada, USA und natürlich Europa führten. Und wer Wallis einmal live erlebt hat, ihr Charisma spürt, ihre kraftvolle Stimme hört, ihr sehr eigenes Gitarrenspiel sieht, bei dem sie eine Rechtshändergitarre linksherum spielt – der wird definitiv wieder hingehen. Überhaupt: die Sache mit der Gitarre! Die Geschichte ist so dramatisch, das man sie immer wieder erzählen kann: Als Kind legte Wallis sich nämlich mit einem Rasenmäher an, verlor erst alle Finger der linken Hand, von denen vier wieder angenäht werden konnten. Ihre Liebe zum Gitarrenspiel, die auch aus ihrer Kindheit stammt, fachte das jedoch eher noch an – und so schaffte sie sich eben als Linkshänderin, diesen ganz eigenen Stil an. Mittlerweile kann Wallis auch Künstler, von U2 bis zu Amanda Palmer (eines ihrer besten Konzerterlebnisse in letzter Zeit sei es gewesen, Wallis Bird auf dem Woodford Folk Festival zu sehen: „She was fucking destroying it!“), zu ihren Fans zählen. Und dann sind da noch all die Preise und Nominierungen in den letzten Jahren: 2-fache Gewinnerin des irischen Meteor Award (nationaler irischer Musikpreis), 2x nominiert für den Choice Music Price (irisches Equivalent zum Mercury Prize), Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie Rock/Pop gewonnen und dieses Jahr beim renommierten amerikanischen „International Folk Music Award“ in der Kategorie „Artist Of The Year“ nominiert. Und wer nun angefixt ist: Im Herbst ist Wallis in Europa auf Tour.
       
      Vielleicht ist es auch dieses Wissen, das ihr den Mut gab, ein solch starkes Album schlicht und schön „WOMAN“ zu nennen. Was natürlich ein Statement ist in diesen Zeiten. „Dieses Wort tauchte einfach immer wieder auf“, erzählt Wallis, „und provozierte Frauen und Männer aus meinem Umfeld ebenso.“ Genau diese Reaktion sei für sie dann entscheidend gewesen, „weil ich trotzdem fühlte, dass genau jetzt der richtige Moment dafür ist. Es fühlt sich normal an. Und es ist fair und richtig zu sagen, dass feminine Kraft auf dem Vormarsch ist. Weil das längst überfällig ist. Wir müssen endlich einsehen, dass wir gleich verschieden sind. Wir sind Ying und Yang. Es gibt soviel, was eine Frau kann, ein Mann aber nicht. Und umgekehrt.“ Deshalb sei dieses Album nicht in Opposition zu sehen: „Es ist kein Album gegen Männer, es ist ein Album, das den matriarchalen Vibe in der Gesellschaft feiert, das einladen soll, Geschlechtergrenzen aufzulösen und zu verwischen.“ Interessant ist auch das kleinere „M“ im Titel, das nicht etwa ein Glitch oder ein Fehler ist, sondern ein 13 Prozent kleinerer Buchstabe. Warum 13 Prozent? Weil diese Zahl gerade den Gender Paygap in Wallis Heimat Irland ausmacht.  All das (und noch viel mehr), was in diesem Text zur Sprache kommt, findet sich auch in dem wundervollen Cover-Artwork der spanischen Künstlerin Maria Torres. Deshalb beenden wir den Text an dieser Stelle und lenken den Blick auf Marias Bild – denn das eignet sich fast besser, um in Verbindung mit Wallis‘ Musik zu verstehen, was für ein starkes Stück Kunst hier entstanden ist. 

      Geschrieben von Daniel Koch
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  • Bonaparte - Was Mir Passiert Ist
    • Bonaparte - Was Mir Passiert Ist
    • Nachdem letztes Jahr mit »Das Lied vom Tod«  bereits ein erster deutschsprachiger Song von Bonaparte erschien, veröffentlicht er nun am 05.04.2019 mit »Big Data (feat. Farin Urlaub und Bela B.)« die nächste Single und kündigt gleichzeitig für den 14.06.2019 sein siebtes Studioalbum »Was Mir Passiert« an. Dazu geht Bonaparte als »Bonaparte & Le Nouchi Clan« im November 2019 auf große Tour und wird dabei von einigen der Musiker begleitet, mit denen er auch einen Großteil seines neuen Albums in Abidjan aufgenommen hat. 
       
      »Was Mir Passiert« entstand innerhalb der letzten zwei Jahre auf mehreren Reisen zwischen Abidjan und Berlin. Ein Freund erzählte damals Bonaparte alias Tobias Jundt von der pulsierenden Energie der Stadt:  »Alles, was er erzählt hat, klang so aufregend, dass ich im Juni 2017 einfach mal runtergefahren bin. Was ich in Abidjan erlebt habe, war wie ein Katalysator, eine überwältigende Erfahrung«, sagt Jundt. »Von der dortigen Musikszene geht eine wahnsinnige Energie aus« fügt er hinzu. »So ähnlich hab ich das vor 12 Jahren gespürt, als ich das erste Mal in Berlin angekommen bin. Diese Aufbruchsstimmung!« 
       
      Aus einer Reise werden mehrere. Und mit jedem Aufenthalt kommen neue Freunde dazu. In Abidjan lernt Bonaparte Musiker, Tänzer, Produzenten kennen – und beginnt, mit ihnen an einem Pop-Hybriden der besonderen Art zu arbeiten. »Ich kann natürlich die dort vorherrschenden Musikstile nicht kopieren, aber ich kann versuchen damit zu interagieren«, beschreibt Jundt seinen Workflow. Von jeder Reise an die Elfenbeinküste bringt er neue Musik und Ideen mit, die er zurück im Studio in Berlin weiter entwickelt und abstrahiert. So entsteht »Was Mir Passiert«: Ein fiebriges Amalgam aus europäischen und afrikanischen Einflüssen, auf dem Features wie die an der Elfenbeinküste geborene und mehrmals für den Grammy nominierte Songwriterin Fatoumata Diawara oder der ivorische Streetstyle-Rapper Bop de Narr genau so ihren Platz finden wie Sophie Hunger, Farin Urlaub und Bela B.
       
       
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  • Jenniffer Kae - halb 4
    • Jenniffer Kae - halb 4
    • Sie schimmerte bereits in vielen prächtigen Farben, man könnte fast sagen, Jenniffer Kae hat sich in den letzen zehn Jahren wie ein Chamäleon durch den Popwald bewegt. Und zwar hauptsächlich im Tourbus, denn die deutsche Sängerin mit den philippinischen Wurzeln unterstützte zahlreiche Künstler im Background mit ihrer Wandelbarkeit. Die Schönheit des Facettenreichtums anerkennend, ist es für Jenniffer allerdings jetzt an der Zeit, die Farbgewänder Anderer abzulegen und sich musikalisch unverhüllt und frei zu zeigen: „Ich habe mein ganzes Leben Geschichten anderer Menschen gesungen und gelauscht. Mein Ziel war es immer, irgendwann meine eigenen zu erzählen“, sagt die Sängerin. 
       
      Gerade hat die 31-Jährige die Produktion ihres ersten deutschen Albums abgeschlossen, im Frühjahr 2019 präsentiert die Sängerin die Bandbreite der Themen in ihrem Herzen. Und tatsächlich heißt ein Song sogar „Chamäleonmädchen“ und dreht sich um eine bunte Anpassungskünstlerin…
       
      Jenniffer Kae wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren, Soul, R&B, Gospel, Country und Pop hat sie bereits in der Kindheit tief eingeatmet, um jetzt ihr Ich rauszusingen. Neben diesem unverwechselbaren Gefühl, dem Zeitgeist ehrlicher Popsongs, spielt die Gitarre eine zentrale Rolle. Jenniffer selbst beschreibt ihren Klang so: „Meine Musik lebt durch zwei Pole. Einer ist leise und intim, der andere ist energetisch und kraftvoll. In jedem Fall sind meine Songs lebendig und handgemacht.“
       
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  • Von Wegen Lisbeth - ...
    • Von Wegen Lisbeth - sweetlilly93@hotmail.com
    • Bandbiographie Von Wegen Lisbeth – sweetlilly93@hotmail.com
       
      Würden Von Wegen Lisbeth die Musikkarriere an den Nagel hängen und stattdessen eine Talkshow moderieren (sonntags zur besten Sendezeit, wenn sich Deutschlands erhitzte Gemüter noch über den Tatort echauffieren), dürfte man sich wohl über folgende Themen freuen: Muss man dem Lieferdienst Trinkgeld geben, obwohl die Pizza ohnehin schon unmenschlich teuer ist? Warum wurde für meine Wohnung schon wieder die Miete erhöht, muss ich jetzt etwa im Coworking Space übernachten? Und fehlt dem RTL-Dschungelcamp nur noch die Schwarz-Weiß-Optik, um in Neuköllner Studentenkneipen als Klassiker diskutiert zu werden? Es sind die kleinen, alltäglichen Belanglosigkeiten, die oftmals so viel mehr über eine Gesellschaft aussagen als die vermeintlich großen politischen Themen und Von Wegen Lisbeth zeichnen in ihren Texten nach wie vor ein pointierteres Bild unserer Zeit als uns wohl manchmal lieb ist - als hätte man mit dem Skalpell einen präzisen Schnitt von Berlin bis Annaberg-Buchholz gezogen. Mit beißender Ironie singen die Berliner über die großen philosophischen Fragen unserer Zeit: Geh ich zur Demonstration oder schau’ ich noch eine Youtube-Compilation? Wann lern’ ich endlich aus meinen Fehlern? Und swipe' ich lieber nach links oder nach rechts?
       
      Um den sperrigen Bandnamen ranken sich unzählige Gründungsmythen - bestätigt werden konnte bisher keiner, nur eins gilt als wissenschaftlich bewiesen: Nach tausenden Elevator-Pitches und jahrelanger Marktanalyse erklärten Versuchspersonen, denen man „Von Wegen Lisbeth“ ins Ohr flüsterte, durchschnittlich mehr Appetit auf Schokopudding zu verspüren.
       
      Wenn meine neue App Recht hat, rauch ich heut’ zehn Kippen weniger / da spar’ ich zwei Euro dreißig, da krieg’ ich vier Bier bei Edeka / es wird sich einiges ändern, der Döner ist jetzt n’ Friseursalon / und du weißt nichts davon.
       
      Noch in ihrer gemeinsamen Schulzeit fanden sich die fünf Berliner Matze (Gitarre/Gesang), Doz (Gitarre), Julian (Bass), Robert (Synthie) und Julian (Schlagzeug) zusammen, spielten (damals noch unter anderem Namen) von Punk über Ska bis hin zu 8-Bit-Gameboy-Musik alles was nicht richtig in ein Genre passte und würzten das Ganze mit einer skurrilen Instrumentierung, so etwa einem Omnichord, einem sogenannten Regenbogenachttästler, verfeinert mit einem kräftigen Schuss Maggi. Seitdem hat sich für Von Wegen Lisbeth so ziemlich alles geändert und trotzdem ist eigentlich alles geblieben, wie es immer schon war: Ihre Musik lässt sich noch immer in kein Raster pressen und mit keiner anderen Band so wirklich vergleichen. Wer dem Ganzen unbedingt einen Stempel verpassen will, der einigt sich am besten auf den Begriff „Indie-Pop“ - ganz einfach, weil sich dahinter alles verbergen kann.
      Einst begleiteten Von Wegen Lisbeth die Kölner von AnnenMayKantereit als Supportband, spielten im Vorprogramm von etablierten Bands wie Sven Regeners Element of Crime, bis dann plötzlich alles riesengroß wurde: 2016 ging die Band mit ihrem Debütalbum GRANDE auf eigene Tour quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz und spielte seitdem auf so ziemlich jeder verfügbaren Festivalbühne.
       
      Warum war früher alles schöner / warum macht ihr Mayonnaise in den Döner / und warum ist die AfD immer noch da / obwohl ich heut’ beim Yoga war?
       
      Mittlerweile hat die Band sich eine beträchtliche Fangemeinde erspielt, rückt auf Festivalpostern Zeile für Zeile nach oben (noch vier Schriftgrößen bis Miley Cyrus) und bis zum Sponsoring-Deal mit Louis Vuitton kann es nicht mehr lange dauern. Aber wo andere Bands im verwässerten Popsumpf zu versinken drohen oder sich einstige Skandalrapper in Castingshow-Jurys wiederfinden, wirken Von Wegen Lisbeth noch immer angenehm sperrig. War man sich doch eigentlich einig, dass diese Art von Musik niemals massentauglich werden könnte, so ist sie es wohl irgendwie immer noch nicht, hat dafür aber ganz schön viele Fans.
       
      Nach einem intensiven Festivalsommer 2018 haben sich Von Wegen Lisbeth monatelang im versteckten Keller eines mysteriösen, chinesischen Fast-Food-Restaurants eingeschlossen, die Sonnenbank auf Stufe drei gestellt und sämtliche Staffeln Game of Thrones rückwärts abgespielt. In dieser einzigartigen Atmosphäre entstand, was zwangsweise entstehen musste: Das zweite Album sweetlilly93@hotmail.com. Bereits am 3. Mai 2019 wird die Platte überall erhältlich sein und dreizehn brandneue und definitiv tanzbare Songs enthalten. Neben der mysteriösen süßen Lilly beschäftigen sich Von Wegen Lisbeth darauf mit der rasanten Veränderung in ihrem Viertel, dem manchmal ohrenbetäubend lauten Schweigen am Morgen und dem bedrohlich atmenden Monster in unserem Inneren. Die erste Single des Albums wird den Namen Lieferandomann tragen und schon am 8. März das Licht der Welt erblicken.
       
      Straight aus dem Südosten Berlins geht es nach zwei Album-Release-Shows im Mai 2019 in der Columbiahalle dann im Herbst auf große Britz-California-Tour. Von Wegen Lisbeth auf großer Headliner Tour - ist das jetzt politisch relevant oder belanglos?!

       
      (Text: David Starck)
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  • Mine - Klebstoff
    • Mine - Klebstoff
    • Mine - Klebstoff

      Dass deutsche Popmusik in 90 Prozent der Fälle schnarchlangweilig ist und allzu gerne den einfachen Weg geht, dürfte ein hinreichend bekannter Umstand sein. Dass Mine es besser weiß und kann, ebenfalls. Die 33-Jährige hat das mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 2014 und dem Nachfolger »Das Ziel ist im Weg« zwei Jahre später alleine, aber immer wieder auch gemeinsam an der Seite von Künstlern wie den Orsons auf Songs und Bühnen eindrucksvoll bewiesen. 
       
      Vielleicht, weil Musik in ihrem Leben schon immer da war: Bei Gesangswettbewerben, im Musikunterricht oder dem anschließenden Studium in Mainz und Mannheim. So klassisch und konform sich dieser Werdegang auf dem Papier liest, so abseits von allem anderen ist das, was Mine in ihren Songs produziert, schreibt und macht. Ihre Lieder klingen so anders, nischig und mutig, gerade richtig leise und dann wieder laut, wie wenig anderes. Nur verständlich, dass es dafür 2016 den Preis für Popkultur in der Kategorie »Lieblingssolokünstlerin« gab. 
       
      Anfang 2017 schaute Mine sich gemeinsam mit Fatoni auf »Alles Liebe Nachträglich« dann in der Retrospektive das vielschichtige Phänomen zwischenmenschlicher Beziehungen an und erntete dafür durch die Bank Fürsprechungen von Fachpresse und Feuilleton – am Ende des gleichen Jahres erfüllte sie sich mit einer 32.000-Euro-Crowdfunding-Kampagne und Gästen wie Friedrich Lichtenstein, Grossstadtgeflüster, Bartek (Die Orsons), Fatoni, Edgar Wasser, Tristan Brusch, Textor (Kinderzimmer Productions), Haller, Ecke Prenz und dem Berliner Kneipenchor in Eigenregie bereits zum zweiten Mal den Traum vom selbst arrangierten Herzensprojekt namens Orchester-Konzert.
       
      Aber neben all diesen Projekten und Privatem bleibt kaum Zeit fürs Schreiben – und als Mine Anfang 2018 Soloalbum Nummer 3 angehen will, muss es auf einmal ganz schnell gehen. »Der Schreibprozess war dieses Mal sehr kompakt«, erinnert sich Mine. »Ich hatte am Anfang total Angst davor, dass die Songs sich zu sehr ähneln, wenn ich sie innerhalb von kürzester Zeit schreibe.« Aber: Das Gegenteil ist der Fall. Rasch, viel rascher als sonst, stehen da gut zwei Handvoll ganz unterschiedliche Songskizzen, die es wert sind, dass man ihnen nachspürt – textlich und musikalisch, aber vor allem auch klanglich. Immer neu, immer anders. Nicht umsonst liebt und sammelt Mine exotische Instrumente und nennt Autoharp, Phillicorda und Omnicord ihr Eigen.
       
      Mine durchdringt ihre Kunst bis ins kleinste Detail. Und während Kollegen sich ihre musikalischen Untermalungen gerne von Studiomusikern auf den Leib schneidern lassen, übernimmt sie das mittlerweile so gut es geht selbst und nimmt von Album zu Album mehr und mehr auch die Rolle der Produzentin ein. »Die Produktion ist für mich ein unglaublich wichtiger Teil des Songwriting. Aber es hört für mich nicht auf, wenn ich eine Melodie, Akkorde und Text gefunden habe. Im Gegenteil: Die Auswahl der Sounds spielt eine genauso große Rolle – und das möchte ich, so gut es geht selber bestimmen. Denn mittlerweile weiß ich sehr genau, was ich brauche, um das zu bekommen, was ich höre.«
       
      Mit einem Computer voller fast fertiger Versionen geht es zu Dennis Kopacz und Marcus Wüst in die »kleine audiowelt« in Sandhausen. Der Studiokomplex im nordwestlichen Nirgendwo von Baden-Württemberg ist über die Jahre zu einer echten Homezone für Mine geworden. »Es gibt dort elf Parteien im Alter von 20 bis 80, die ganz unterschiedliche Musik machen - von Pop und Techno, bis Jazz und Klassik. Es geht dort gar nicht darum, was man schon erreicht hat, sondern einfach nur um das Musikmachen. Ein Arbeitsumfeld der angenehmeren Sorte, in dem auch Mines drittes Soloalbum entsteht
       
      Wenn man »Klebstoff« zum ersten Mal hört, dann könnte man meinen, dass es poppiger, vielleicht auch zugänglicher als die beiden Vorgänger geraten ist. Professioneller trifft es wohl am besten. Das Album hat mit »90 Grad« und »Einfach so« gute Pop-Songs, bei denen man gleich weiß, worum es geht und die trotzdem nicht im belanglosen Grundrauschen des musikalischen Zeitgeists untergehen. Aber dann gibt es eben auch Songs wie »Nichts« oder »Schwer bekömmlich«, die etwas von einem wollen, auf die man sich einlassen muss.
       
      »Ich finde den Mix aus diesen beiden Extremen perfekt«, sagt Mine. »Ein gutes Album ist für mich eines, das mich über längere Zeit begleitet, aber trotzdem auch direkt abholt. Dann kann es nämlich passieren, dass einen zu Beginn ein paar Lieder begeistern, während andere in den Hintergrund geraten und dadurch Zeit bekommen – aber nach dem man das Album ein paar Mal gehört hat, dreht sich das und man kann gar nicht verstehen, dass es vorher mal anders war.« 
       
      Wie Mine auf »90 Grad« mit Pauken und Trompeten im Rücken neue Perspektiven einnimmt und Dialoge mit ihrem Zukunfts-Ich führt, ist imposante Introspektive und Hit zugleich. Ganz ähnlich der Song »Spiegelbild« mit dem Berliner Künstlerkollektiv AB Syndrom, für welchen sich das Trio – angetrieben von Percussions, Flöten und Streichern – einen Reim auf die Rastlosigkeit in der Reflektion macht, während  »Einfach so« mit Giulia Becker vom »Neo Magazin Royale« wunderschönes Selbstverständnis in Songform ist.
       
      Das Titellied »Klebstoff« zeigt, wie man mittels sprichwörtlicher Sinnverschiebung auch dem Moment des traurigsten Abschieds vielleicht noch ein Schmunzeln abgewinnen kann. Klarer, deutlicher, aber nicht minder beeindruckend und ergreifend klingt »Vater«. Ein schonungsloses Gegenüberstehen zweier Generationen. »Ich wollte den Song eigentlich gar nicht veröffentlichen, weil er so unmittelbar und gar nicht metaphorisch ist. Die Zeilen und auch der Titel sagen genau, um wen es geht. Das ist für mich ein Schritt gewesen, den ich davor noch nie gegangen bin und mit dem ich heute doch sehr glücklich bin.«
       
      Das Album trägt den Titel »Klebstoff« nicht ohne Grund. Für Mine ist das Wort ein phonetisches Meisterwerk: »Ich bin ja ein großer Fan der deutschen Sprache und mag gerne, dass sie so kryptisch in den Betonungen ist. ›Klebstoff‹ klingt hart, aber gleichzeitig trotzdem weich und passt genau zu seiner Bedeutung. Ich finde das Bild interessant, dass jeder von uns mit Klebstoff umhüllt durch das Leben geht und alle Dinge, mit denen man in Kontakt kommt – positiv oder negativ - an einem kleben bleiben. Auch, wenn man das gar nicht will. Auch, wenn man schon längst woanders ist.« Genau von diesen Dingen, erzählen die Songs auf dem Album.
       
      In den 11 Stücken und gut 40 Minuten Spielzeit ist man ganz nah dran an Mine. An ihren Gesprächen mit sich selbst und anderen, aber auch dem Ergründen und Überdenken, dem Gucken und Schauen, dem Drehen und dem Wenden der Dinge, die man nach und nach mit sich trägt, so schön oder schlimm sie auch sein mögen. »So traurig das Album oft ist, so tief es manchen Stellen auch geht – ich fühle mich wohl mit der Platte.« 
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  • Alice Merton - Mint
    • Alice Merton - Mint
    • Release: 18.01.2019
      Label: Paper Plane Records Int.
       
       
      Von der Tellerwäscherin zur heiß gehandelten Newcomerin: 
      Alice Mertons rasanter Karrierestart gäbe diese Überspitzung tatsächlich her. Sie und ihr bester Freund und späterer Manager Paul Grauwinkel spülten während des Studiums an der Mannheimer Popakademie in einem Altenheim Teller, um die ständigen Reisen zu Aufnahmesessions in Berlin zu finanzieren. Diese Erfahrung und ihre Freundschaft, die an einer Bushaltestelle begann, finden sich nun auch auf Alice Mertons Debütalbum MINT, das am 18. Januar 2019 endlich erscheinen wird. 2 Kids heißt der Song, er ist einer der besten von elf sehr guten. Eine schillernde Ode an die Freundschaft, kämpferisch und melancholisch zugleich, bei der man Alice Mertons Liebe zu den Killers ebenso raushört, wie ihr eigenes Gespür für großen Pop und zeitgemäße Produktionen. Darin singt sie: „I met you at a bus stop you told me your name / now you’re like a brother playing the game.“ Das „Game“, das sie meint, ist das Musikbusiness-Game, in das sie da hineingeraten sind. Und, soviel sei schon jetzt verraten: Diese 2 Kids wissen, wie man das Game spielt. Aber sie spielen es nach ihren eigenen Regeln. 
       
      Für Alice Merton ist es selbstverständlich, dass ihr Leben ihre Kunst prägt. Seit sie mit 17 das Songwriting für sich entdeckte, verarbeitet sie darin ihre Emotionen: „Ich tue mich sehr schwer, über Gefühle zu sprechen. Dabei kommt nie das raus, was ich eigentlich sagen will. Wenn ich einen Song schreibe, gelingt es mir wiederum. Deshalb bin ich glücklich, die Musik zu haben, auch wenn ich dadurch viel Privates teile.“ Schon ihre Debütsingle No Roots, deren Namen man nur lesen muss, um wieder für die nächsten drei Stunden einen Ohrwurm zu haben, funktioniert so. Hinter den wuchtigen Drums, der Catchiness, dem unwiderstehlichen Drive steckt eigentlich eine Geschichte von Unsicherheit und dem Gefühl, lange Zeit verloren gewesen zu sein. „I build a home and wait for someone to tear it down / Then pack it up in boxes, head for the next town, running.“ So fasst Alice Merton, die Deutschland geboren ist und in Kanada, USA, England und Deutschland aufgewachsen ist, ihre von zahlreichen Umzügen geprägte Jugend zusammen. 
       
      Ein Kontrast, der vielleicht das Herz ihres Erfolges ist und den sie selbst am besten erklären kann: „Ich greife mir oft ein trauriges Thema und stecke es in einen Song, der mir Spaß macht. Die Dinge aus No Roots beschäftigen mich noch immer, aber ich wollte drauf pfeifen, ich wollte mich stark fühlen, wenn ich mich ihnen stelle.“ Wer genau hinein hört in MINT, der wird viel darüber lernen, wie es Alice Merton in den letzten Monaten ergangen ist. So zieht sich das Thema des Sich-selber-Findens in einer wild wirbelnden Welt auch durch die Lyrics von Homesick, während die Musik dazu schon wie das Gegenmittel zum Heimweh klingt. Der Album-Opener Learn To Live ist eine Kampfansage: „I want to learn how to live without the consequences“, ermahnt sie sich, während ein fast rockiges Gitarrenriff, ein tief schiebender Bass und aufpeitschende Drums dem Ganzen Nachdruck verleihen. Aber MINT hat zugleich diese verschmitzten, euphorischen Momente, wenn Alice Merton dem Erwartungsdruck mit breitem Grinsen ins Gesicht springt und in ihrem vielleicht poppigsten Song fragt: „Why So Serious“? Läuft doch alles super! Lash Out, geschrieben mit Grammy-nominierten Dave Bassett, schlägt in eine ähnliche Kerbe, nur sucht sie hier einen Weg aus den Momenten, die so ernst sind, dass sie am liebsten ausrasten würde. Selten klang ein musikalischer Wutausbruch so charmant. Die nachdenklichste Nummer auf MINT ist Speak Your Mind, die einen interessanten Bogen zu Alice Mertons Aussage schlägt, sie könne nicht über ihre Gefühle sprechen: Hier ist sie in einer Situation, in der ihr Gegenüber nicht kommuniziert, was wirklich in ihm vorgeht.  In Funny Business singt Alice Merton über Vertrauen und demontiert genüsslich das Bild eines wechselhaften Popstar-Lebens. „I don’t break hearts, I don’t do funny business“, stellt sie klar. Wie sie dabei Melodie und Toughness in diese eine Zeile packt – das ist eine große Kunst, für die es Können und Stimme braucht. Produziert wurde das Lied von John Hill, der zuletzt auch an Portugal. The Mans Hit „Feel It Still“ beteiligt war. Wer Alice Mertons Stimme schon immer in einer klassischen Ballade hören wollte, der kommt bei Honeymoon Heartbreak auf seine Kosten und muss feststellen: Es klingt genauso so ergreifend, wie man sich das immer ausgemalt hatte. Und dann wäre da noch I Don’t Hold A Grudge, die Abrechnung mit einem Freund, der sie einst im Stich gelassen hat. Übrigens ließ Alice Merton ihn vorher wissen, dass er jetzt einen eigenen Song hat: „Er hat ihn vorher per Mail bekommen. Das mag man weird finden, ich finde es fair.“
       
      Fairness, Vertrauen, Freundschaft – das sind vielleicht auch die Werte, die Alice Mertons rasantem Erfolg das starke Rückgrat geben. Es ist schließlich gar nicht so leicht, auf dem Boden zu bleiben und die (Studio-) Zeit für ein so starkes Debüt zu finden, wenn man mittlerweile über eine Millionen Songs verkauft hat, über 300 Millionen Streamsvorweisen kann, in über zehn Ländern in den Top 10 war, bei James Corden spielte, einen EBBA Award und einen der letzten Echos im Regal stehen hat und ihre Wohnung tapezieren könnte mit Platinplatten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Polen und Italien. Aber Alice Merton entschied früh, dass sie das „Game“ des Musikbusiness mit Menschen spielen will, die sich von Anfang an für sie eingesetzt und an sie geglaubt haben. Der eingangs erwähnte Paul Grauwinkel zum Beispiel ihr Geschäftspartner des eigenen Label Paper Plane Records International. Auch ihrem Produzent Nicolas Rebscher schenkte Alice Merton von Anfang an vollstes Vertrauen, obwohl ihr bei Gesprächen mit großen Labels immer wieder gesagt wurde, sie solle noch weitere Sessions mit anderen Produzenten und Songwritern machen. Übrigens sahen die hohen Herren dieser Labels auch in „No Roots“ (das bereits von Rebscher produziert und mitgeschrieben wurde), nicht das Potential, das dieses Lied später entfaltete. Zu lang sei es, der Mix stimme nicht, die Bridge müsse raus. Aber Alice Merton blieb hartnäckig. Mit bekanntem Ausgang.
       
      Und hier wir die Sache mit Alice Mertons Erfolg so richtig spannend. Denn auch wenn ihre Karriere mittlerweile das ist, was man im alten Lagerdenken der Musikpresse „Mainstream“ nennen würde, ist sie so „Indie“, wie man heute nur sein kann. Sie und ihr Team haben gelernt, dass sie am besten wissen, was gut für sie ist. Sie haben die Klasse, das Können, die Tools und das Know-how, eine internationale Karriere aus eigener Kraft zu stemmen. Sie haben das Selbstbewusstsein, auch mal die Rechte an Songs, die sie an ein Major-Label gegeben haben, zurückzunehmen, weil sie nicht das Gefühl hatten, besagtes Label würde mehr oder besser für sie arbeiten. Und, was natürlich am wichtigsten ist: Alice Merton hat mit MINT nun jenes Album, das alle übergroßen Erwartungen locker auskontert, weil es ihr Songwriting, ihre Stimme, ihre Geschichten in ein perfektes Licht setzt und in elf wunderschöne, starke Songs gießt. Wie so oft bei guter Popmusik bleibt einem da am Ende nur ein Fazit: Widerstand zwecklos.
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  • AnnenMayKantereit - Schlagschatten
    • AnnenMayKantereit - Schlagschatten
    • AnnenMayKantereit Album: „Schlagschatten“ VÖ: 07.12.2018

      Ach, es könnte gerne noch ein paar Monate so weitergehen: Jeden Freitag hauen AnnenMayKantereit momentan einen neuen Song und ein neues Video raus und es sind nicht nur ihre zahlreichen Fans, die sich davon begeistern und/oder verwirren lassen. Beides ist möglich, denn die vier Kölner beweisen gerade im Wochentakt, dass sie zwar immer noch Liebeslieder wie „In meinem Bett“ können, aber bereit sind, neue Wege einzuschlagen. Davon zeugen Lieder wie „Weiße Wand“ – ein geradezu mäanderndes, verstörendes Nachdenken über Halt und Haltung, Politik und Privilegien. Oder auch die Ballade „Schon krass“, die man genauso beschreiben könnte, weil es wirklich schon krass ist, wie offen Henning May hier über die Versuchungen des Musikerdaseins singt, ohne sich dabei in Klischees zu verrennen.

      Und dann ist da natürlich noch der Satz, mit dem das alles begann: „Die Vögel scheißen vom Himmel / und ich schau dabei zu.“ So könnte auch ein Roman beginnen. Ein guter vermutlich, denn dieser sichere Tonfall, die lakonische Melancholie und das selbstbewusste Auf-eine- saubere-Sprache-Scheißen zeugen davon, dass hier jemand seinen Ton gefunden hat. AnnenMayKantereit eröffnen so ihr zweites Album „Schlagschatten“. Der Song dazu, „Marie“, war auch der erste, den sie Ende September mit der Öffentlichkeit teilten. Einmal in der Studioversion und einmal als Live-Session, die sie auf dem Dach eines Hauses im katalanischen Hinterland einspielten. Wer bei „Marie“ eine verklärte Ballade über eine vermeintliche Traumfrau erwartet und nun schon wieder die Messer wetzt, wird allerdings enttäuscht: „Marie“ ist vielmehr ein Ansingen gegen die Unsicherheit, eine Projektion auf die personifizierte Rettung, die nicht kommen wird. Henning May singt darin mit dieser Stimme, die Musikjournalisten in die wildesten Beschreibungen treibt: „Manchmal denke ich, die Welt ist 'n Abgrund / Und wir fallen, aber nicht allen fällt das auf / Und so nimmt alles, alles seinen Lauf / Mein bester Freund ist viel zu jung gestorben / Und schon so lange hab' ich keine Mutter mehr / Meistens fehlen mir dafür die Worte / Und wenn sie kommen, dann weiß ich nicht, woher.“

      „Marie“ bleibt bei all dem eine optimistische Nummer, was vor allem an ihrem Rhythmus liegt, aber trotzdem weht plötzlich etwas Düsteres durch die Strophen. Man fragt sich bei diesen Zeilen unweigerlich: Wie haben Christopher Annen (Gitarre), Henning May (Gesang, Klavier, Gitarre), Severin Kantereit (Schlagzeug) und Malte Huck (Bass) eigentlich diesen Wirbel der letzten Jahre überstanden? Diese rauschhafte Zeit, die aus den sympathischen Straßenmusikern erst einen geliebten Geheimtipp, dann die Hardest-Touring-Band Deutschlands mit bis zu 120 Konzerten im Jahr und später einen der erfolgreichsten heimischen Acts der letzten Jahre gemacht hat – mit einem Debütalbum („Alles Nix Konkretes“), das in Deutschland und Österreich auf die 1 ging und eigenen Festivals, die Wochen vorher ausverkauft waren?

      Anruf bei Henning und Malte in Girona, wo AnnenMayKantereit gerade den finalen Mix ihres Albums machen. Malte meint zum Thema Trubel:

      „Da gibt es für uns als Band vier Antworten und tausend Ebenen. Jeder von uns erlebt das anders. Ich habe durch die Art und Weise, wie wir dieses Album aufgenommen haben, wieder gemerkt, warum ich das alles mache. Das Drumherum ist Zirkus, wenn man es böse sagen will. Oder weil das netter klingt: Es gehört eben dazu. Ich spüre noch immer eine krasse Dankbarkeit, dass wir das alles so machen können. Den Verlust von Anonymität, den Druck, den man vielleicht spürt und die Fragen, die man sich so stellt, das haben schon tausend andere Bands vor uns durch. Klar, teilweise kann man es auch bei uns auf der Platte hören, aber gleichzeitig bin ich sehr froh, dass wir nicht 14 Songs lang davon singen, wie es im Nightliner aussieht.“ Henning findet es wichtig auch noch einmal zu betonen, dass es in der Band diese „vier Antworten auf diese Frage“ gibt. Aber: „In einem Punkt verarbeiten wir diesen Trubel auf die gleiche Weise: Wir halten zusammen. Wir finden es immer noch schön, uns jeden Tag zu sehen. Die Zeit hier ist ein gutes Beispiel: Hey, wir sind gerade acht Wochen am Stück, 24 Stunden am Tag zusammen und es ist immer noch alles OK. Dieses Aufeinander-Klarkommen war in den letzten Jahren beständig und wichtig – das gilt für uns als Band, aber auch für die Leute, mit denen wir arbeiten. Die meisten davon sind Freunde, die wir schon sehr lange kennen.“

      Mit einem kleinen Team fielen AnnenMayKantereit im Sommer für vier Wochen in ein kleines spanisches Dorf ein, wo sie ein Haus mieteten und darin ein provisorisches Studio errichteten. Rund 80 Prozent der Songs standen da bereits – viele von ihnen auf Tour geschrieben und in Köln ausgearbeitet. „In dem spanischen Dorf wohnen sonst nur drei Familien, wir haben die Einwohnerzahl also verdreifacht“, lacht Henning. „Der Arbeitsrhythmus war so: Wir haben jeden Tag um zehn oder elf zusammen gefrühstückt, besprochen welches Lied wir uns an dem Tag vornehmen, und dann fast ein wenig auf Abruf gearbeitet.“ Malte ergänzt: „Wir wollten diesmal nicht alles live einspielen wie beim Debüt.“ Das ist auch der Grund, warum AnnenMayKantereit nicht wieder mit Moses Schneider als Produzenten arbeiteten, sondern diesmal mit dem Casper- und Sizarr-Produzenten Markus Ganter. „Moses ist ja so der ‚live-recorder’“, erklärt Henning. „Wir haben uns mit ihm getroffen und ihm erzählt, was mir machen wollen. Danach trafen wir uns mit Markus, weil wir eben mal eine andere Art des Arbeitens ausprobieren wollten. Er kam oft zu uns in den Proberaum in Köln und da haben wir gemerkt, dass die Chemie stimmt und er einen neuen Drive reinbringt.“ Wo andere Bands jetzt das Thema wechseln oder ein Hohelied auf den neuen Mann anstimmen würden, sagt Henning: „An dieser Stelle noch mal ein großes Kompliment an Moses Schneider: Ich glaube kein Produzent hat es je einer Band leichter gemacht , den Produzenten zu wechseln. Moses versteht wie wenige andere, dass eine neue Kennenlern-Dynamik manchmal wichtig ist für eine Band und man das nicht persönlich nehmen muss.“ Eines hat sich bei der Arbeit mit Markus Ganter jedoch nicht geändert: die Grundlage ihrer gemeinsamen Arbeit. „Wir haben eine feste Regel“, sagt Malte. „Jeder hat an seinem Instrument am Ende das letzte Wort.“ Es spricht für die Band, dass dieses Konzept so oft so gut ausgeht.

      Als „Alles nix Konkretes“ im März 2016 erschien, wehte AnnenMayKantereit anfangs ein starker Wind ins Gesicht. Einige Fans klagten, außer „Pocahontas“ gäbe es ja nix konkret Neues, die Musikpresse wiederum klang manchmal verschnupft und überkritisch,

      vielleicht weil sie sauer darüber war, dass sich AnnenMayKantereit weites gehend ohne Pressehype eine erstaunliche Fanbase erspielt hatten. Beides dürfte diesmal nicht passieren: Die Fans werden mit gleich 14 neuen Liedern beschenkt, zu denen es in jedem Fall ein Video geben wird. Und selbst die ärgsten Zweifler sollten eingestehen, dass Stücke wie „Schon krass“, „Hinter klugen Sätzen“, „Ich geh heut nicht mehr tanzen“, „Schlagschatten“ oder das geradezu verstörende „Weiße Wand“ eine gereifte, aufregende Band zeigen. Für AnnenMayKantereit selbst ist diesmal auch vieles anders. „Bei der letzten Platten haben wir alles vorher schon live getestet“, sagt Malte, „und jetzt ist es genau anders rum: Keiner hat diese Lieder gehört außer unsere engsten Freunde und Bekannte.“ Hier liegt vielleicht begründet, warum sich die Band gerade die Arbeit macht, jeden Song in einem Live-Video einzufangen. Wobei es Henning wichtig ist, das nicht „Arbeit“ zu nennen. „Das gehört zu uns: Es steht sinnbildlich für die Art, wie wir am Anfang Musik gemacht haben. Genauso, wie wir wollen, dass es eine Aufnahme von einem Song gibt, muss es ein Video geben.“ Malte könne sich sogar „nicht mal vorstellen, dass wir ein Lied rausbringen, das es dann nur auf Platte gibt.“

      Bleibt am Ende nur noch die Frage, warum das Album nun heißt, wie es heißt. Ein Schlagschatten ist ein „scharf umrissener Schatten“, sagt der Duden – und Henning sagt: „Kennst du das Gefühl, wenn du in der Bahn sitzt, draußen die Bäume vorbeirauschen und die Schlagschatten durch das Abteil wandern? Ich kriege dann immer diese Zugmelancholie, die ich mit den Schatten verbinde, obwohl es mir eigentlich gut gehen sollte. Wenn der Schlagschatten also eine Emotion wäre, dann wäre es für mich der Kontrast zwischen einem kleinen Glück, das man zum Beispiel beim Zugfahren oder auch beim Teetrinken empfindet, und einem Schmerz, der im Hintergrund konstant pocht, sich aber nicht greifen lässt.“ Eine schöne Metapher, und am Ende sehr passend für diese 14 Lieder, die mal betörend groß das kleine Glück besingen wie in „Nur wegen dir“ und sich mal zu wundervoll leiser Popmusik trauen, die lauernden Dämonen ganz offen zu benennen. „Ich glaube, auf dem Weg nach oben, liegen überall Drogen / meine Freunde haben alle gezogen / ich hab gebaut und geraucht und gelogen“, heißt es zum Beispiel bei „Schon krass“ in Worten, die einen scharf umrissenen Schatten auf eine erstaunliche Karriere werfen, die sie wohl nur so putzmunter erleben, weil sie bei all dem Trubel von außen im Innern noch immer die Freunde sind, die einst in Köln-Ehrenfeld mit einem Klavier auf dem Bürgersteig begannen.

      AnnenMayKantereit Album: „Schlagschatten“ VÖ: 07.12.2018

      Ach, es könnte gerne noch ein paar Monate so weitergehen: Jeden Freitag hauen AnnenMayKantereit momentan einen neuen Song und ein neues Video raus und es sind nicht nur ihre zahlreichen Fans, die sich davon begeistern und/oder verwirren lassen. Beides ist möglich, denn die vier Kölner beweisen gerade im Wochentakt, dass sie zwar immer noch Liebeslieder wie „In meinem Bett“ können, aber bereit sind, neue Wege einzuschlagen. Davon zeugen Lieder wie „Weiße Wand“ – ein geradezu mäanderndes, verstörendes Nachdenken über Halt und Haltung, Politik und Privilegien. Oder auch die Ballade „Schon krass“, die man genauso beschreiben könnte, weil es wirklich schon krass ist, wie offen Henning May hier über die Versuchungen des Musikerdaseins singt, ohne sich dabei in Klischees zu verrennen.

      Und dann ist da natürlich noch der Satz, mit dem das alles begann: „Die Vögel scheißen vom Himmel / und ich schau dabei zu.“ So könnte auch ein Roman beginnen. Ein guter vermutlich, denn dieser sichere Tonfall, die lakonische Melancholie und das selbstbewusste Auf-eine- saubere-Sprache-Scheißen zeugen davon, dass hier jemand seinen Ton gefunden hat. AnnenMayKantereit eröffnen so ihr zweites Album „Schlagschatten“. Der Song dazu, „Marie“, war auch der erste, den sie Ende September mit der Öffentlichkeit teilten. Einmal in der Studioversion und einmal als Live-Session, die sie auf dem Dach eines Hauses im katalanischen Hinterland einspielten. Wer bei „Marie“ eine verklärte Ballade über eine vermeintliche Traumfrau erwartet und nun schon wieder die Messer wetzt, wird allerdings enttäuscht: „Marie“ ist vielmehr ein Ansingen gegen die Unsicherheit, eine Projektion auf die personifizierte Rettung, die nicht kommen wird. Henning May singt darin mit dieser Stimme, die Musikjournalisten in die wildesten Beschreibungen treibt: „Manchmal denke ich, die Welt ist 'n Abgrund / Und wir fallen, aber nicht allen fällt das auf / Und so nimmt alles, alles seinen Lauf / Mein bester Freund ist viel zu jung gestorben / Und schon so lange hab' ich keine Mutter mehr / Meistens fehlen mir dafür die Worte / Und wenn sie kommen, dann weiß ich nicht, woher.“

      „Marie“ bleibt bei all dem eine optimistische Nummer, was vor allem an ihrem Rhythmus liegt, aber trotzdem weht plötzlich etwas Düsteres durch die Strophen. Man fragt sich bei diesen Zeilen unweigerlich: Wie haben Christopher Annen (Gitarre), Henning May (Gesang, Klavier, Gitarre), Severin Kantereit (Schlagzeug) und Malte Huck (Bass) eigentlich diesen Wirbel der letzten Jahre überstanden? Diese rauschhafte Zeit, die aus den sympathischen Straßenmusikern erst einen geliebten Geheimtipp, dann die Hardest-Touring-Band Deutschlands mit bis zu 120 Konzerten im Jahr und später einen der erfolgreichsten heimischen Acts der letzten Jahre gemacht hat – mit einem Debütalbum („Alles Nix Konkretes“), das in Deutschland und Österreich auf die 1 ging und eigenen Festivals, die Wochen vorher ausverkauft waren?

      Anruf bei Henning und Malte in Girona, wo AnnenMayKantereit gerade den finalen Mix ihres Albums machen. Malte meint zum Thema Trubel:

      „Da gibt es für uns als Band vier Antworten und tausend Ebenen. Jeder von uns erlebt das anders. Ich habe durch die Art und Weise, wie wir dieses Album aufgenommen haben, wieder gemerkt, warum ich das alles mache. Das Drumherum ist Zirkus, wenn man es böse sagen will. Oder weil das netter klingt: Es gehört eben dazu. Ich spüre noch immer eine krasse Dankbarkeit, dass wir das alles so machen können. Den Verlust von Anonymität, den Druck, den man vielleicht spürt und die Fragen, die man sich so stellt, das haben schon tausend andere Bands vor uns durch. Klar, teilweise kann man es auch bei uns auf der Platte hören, aber gleichzeitig bin ich sehr froh, dass wir nicht 14 Songs lang davon singen, wie es im Nightliner aussieht.“ Henning findet es wichtig auch noch einmal zu betonen, dass es in der Band diese „vier Antworten auf diese Frage“ gibt. Aber: „In einem Punkt verarbeiten wir diesen Trubel auf die gleiche Weise: Wir halten zusammen. Wir finden es immer noch schön, uns jeden Tag zu sehen. Die Zeit hier ist ein gutes Beispiel: Hey, wir sind gerade acht Wochen am Stück, 24 Stunden am Tag zusammen und es ist immer noch alles OK. Dieses Aufeinander-Klarkommen war in den letzten Jahren beständig und wichtig – das gilt für uns als Band, aber auch für die Leute, mit denen wir arbeiten. Die meisten davon sind Freunde, die wir schon sehr lange kennen.“

      Mit einem kleinen Team fielen AnnenMayKantereit im Sommer für vier Wochen in ein kleines spanisches Dorf ein, wo sie ein Haus mieteten und darin ein provisorisches Studio errichteten. Rund 80 Prozent der Songs standen da bereits – viele von ihnen auf Tour geschrieben und in Köln ausgearbeitet. „In dem spanischen Dorf wohnen sonst nur drei Familien, wir haben die Einwohnerzahl also verdreifacht“, lacht Henning. „Der Arbeitsrhythmus war so: Wir haben jeden Tag um zehn oder elf zusammen gefrühstückt, besprochen welches Lied wir uns an dem Tag vornehmen, und dann fast ein wenig auf Abruf gearbeitet.“ Malte ergänzt: „Wir wollten diesmal nicht alles live einspielen wie beim Debüt.“ Das ist auch der Grund, warum AnnenMayKantereit nicht wieder mit Moses Schneider als Produzenten arbeiteten, sondern diesmal mit dem Casper- und Sizarr-Produzenten Markus Ganter. „Moses ist ja so der ‚live-recorder’“, erklärt Henning. „Wir haben uns mit ihm getroffen und ihm erzählt, was mir machen wollen. Danach trafen wir uns mit Markus, weil wir eben mal eine andere Art des Arbeitens ausprobieren wollten. Er kam oft zu uns in den Proberaum in Köln und da haben wir gemerkt, dass die Chemie stimmt und er einen neuen Drive reinbringt.“ Wo andere Bands jetzt das Thema wechseln oder ein Hohelied auf den neuen Mann anstimmen würden, sagt Henning: „An dieser Stelle noch mal ein großes Kompliment an Moses Schneider: Ich glaube kein Produzent hat es je einer Band leichter gemacht , den Produzenten zu wechseln. Moses versteht wie wenige andere, dass eine neue Kennenlern-Dynamik manchmal wichtig ist für eine Band und man das nicht persönlich nehmen muss.“ Eines hat sich bei der Arbeit mit Markus Ganter jedoch nicht geändert: die Grundlage ihrer gemeinsamen Arbeit. „Wir haben eine feste Regel“, sagt Malte. „Jeder hat an seinem Instrument am Ende das letzte Wort.“ Es spricht für die Band, dass dieses Konzept so oft so gut ausgeht.

      Als „Alles nix Konkretes“ im März 2016 erschien, wehte AnnenMayKantereit anfangs ein starker Wind ins Gesicht. Einige Fans klagten, außer „Pocahontas“ gäbe es ja nix konkret Neues, die Musikpresse wiederum klang manchmal verschnupft und überkritisch,

      vielleicht weil sie sauer darüber war, dass sich AnnenMayKantereit weites gehend ohne Pressehype eine erstaunliche Fanbase erspielt hatten. Beides dürfte diesmal nicht passieren: Die Fans werden mit gleich 14 neuen Liedern beschenkt, zu denen es in jedem Fall ein Video geben wird. Und selbst die ärgsten Zweifler sollten eingestehen, dass Stücke wie „Schon krass“, „Hinter klugen Sätzen“, „Ich geh heut nicht mehr tanzen“, „Schlagschatten“ oder das geradezu verstörende „Weiße Wand“ eine gereifte, aufregende Band zeigen. Für AnnenMayKantereit selbst ist diesmal auch vieles anders. „Bei der letzten Platten haben wir alles vorher schon live getestet“, sagt Malte, „und jetzt ist es genau anders rum: Keiner hat diese Lieder gehört außer unsere engsten Freunde und Bekannte.“ Hier liegt vielleicht begründet, warum sich die Band gerade die Arbeit macht, jeden Song in einem Live-Video einzufangen. Wobei es Henning wichtig ist, das nicht „Arbeit“ zu nennen. „Das gehört zu uns: Es steht sinnbildlich für die Art, wie wir am Anfang Musik gemacht haben. Genauso, wie wir wollen, dass es eine Aufnahme von einem Song gibt, muss es ein Video geben.“ Malte könne sich sogar „nicht mal vorstellen, dass wir ein Lied rausbringen, das es dann nur auf Platte gibt.“

      Bleibt am Ende nur noch die Frage, warum das Album nun heißt, wie es heißt. Ein Schlagschatten ist ein „scharf umrissener Schatten“, sagt der Duden – und Henning sagt: „Kennst du das Gefühl, wenn du in der Bahn sitzt, draußen die Bäume vorbeirauschen und die Schlagschatten durch das Abteil wandern? Ich kriege dann immer diese Zugmelancholie, die ich mit den Schatten verbinde, obwohl es mir eigentlich gut gehen sollte. Wenn der Schlagschatten also eine Emotion wäre, dann wäre es für mich der Kontrast zwischen einem kleinen Glück, das man zum Beispiel beim Zugfahren oder auch beim Teetrinken empfindet, und einem Schmerz, der im Hintergrund konstant pocht, sich aber nicht greifen lässt.“ Eine schöne Metapher, und am Ende sehr passend für diese 14 Lieder, die mal betörend groß das kleine Glück besingen wie in „Nur wegen dir“ und sich mal zu wundervoll leiser Popmusik trauen, die lauernden Dämonen ganz offen zu benennen. „Ich glaube, auf dem Weg nach oben, liegen überall Drogen / meine Freunde haben alle gezogen / ich hab gebaut und geraucht und gelogen“, heißt es zum Beispiel bei „Schon krass“ in Worten, die einen scharf umrissenen Schatten auf eine erstaunliche Karriere werfen, die sie wohl nur so putzmunter erleben, weil sie bei all dem Trubel von außen im Innern noch immer die Freunde sind, die einst in Köln-Ehrenfeld mit einem Klavier auf dem Bürgersteig begannen.

      Daniel Koch
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